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1849, im Alter von 24 Jahren, unzufrieden mit den ihm aufgezwungenen Lebensumständen, auf der Suche nach Abenteuern, Freiheit und Ferne, verlässt Balduin Möllhausen Deutschland, um nach Amerika zu gehen. Vermutlich nach einem Zwischenaufenthalt in London kommt er im Juli 1850 in New York an und beginnt auch schon, seine Eindrücke zeichnerisch in Skizzenbüchern festzuhalten. Er fährt mit dem Schiff über die großen Seen nach Wisconsin, hält sich bei den Ojibwa-Indianern auf, kommt im Herbst 1850 nach St. Louis
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Dieser Teil (Sommer 1850 bis Frühjahr 1851) des Aufenthalts in Amerika ist nur ungenügend dokumentiert. Neben dem bei Graf abgedruckten „Stichwortartiger Lebenslauf, zweiter (amerikanischer) Teil. Eingelegt in ein Schreiben Lichtensteins an Minister von Raumer vom 2. April 1853“, einigen Hinweisen bei Barba und den in „Reisen in die Felsengebirge Nord-Amerikas bis zum Hoch-Plateau von Neu-Mexico“ enthaltenen Episoden liegen keine schriftlichen Quellen vor. Weitere Hinweise kann man noch den im Skizzenbuch Nr. 1 enthaltenen Zeichnungen entnehmen. Für den folgenden Zeitraum kann man dann zusätzlich die (als Abschrift bzw. als Negativ) erhalten gebliebenen Tagebücher des Herzogs Paul Wilhelm von Württemberg heranziehen. Die Reise mit dem Herzog ist zudem durch ausführliche Passagen in den beiden Reisewerken von Möllhausen beschrieben. | |
![]() Das Lager am Sandy Hill Creek ![]() Wa-ki-ta-mo-ne und sein Jagdtrupp. Otoe-Krieger Tagebuch einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee. – Leipzig: Hermann Mendelsohn. 1858. |
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![]() Bellevue um 1833 |
Auf der Pelzhandelsstation Bellevue hat er eine Liebesaffäre mit Amalie Papin [6], einer vierzehnjährigen Halbindianerin, mit der er sich verlobt, die ihn aber dann doch nicht heiraten will und die später das Vorbild für viele Indianermädchen in seinem Werk und mittelbar auch das Vorbild für Winnetous Schwester Nscho-tschi sein wird. |
Dem Herzog, der ihn im Stich gelassen hatte, trägt er anscheinend nichts nach, denn er nimmt dessen Einladung nach New Orleans an. Möllhausen verbringt nun mehrere geruhsame Monate mit dem Herzog, den er auf verschiedenen Excursionen in die Umgebung begleitet. Als ihm der preußische Konsul Angelrodt in St. Louis anbietet, einen für den Berliner Zoo bestimmten Tiertransport zu begleiten, nimmt er die Gelegenheit wahr, um in die Heimat zurückzukehren. Im Dezember 1852 schifft er sich, mit einem Schreiben an Professor Lichtenstein, den Direktor des zoologischen Gartens in Berlin, versehen, mit seiner Fracht nach Bremen ein und kommt im Januar 1853 nach fast vierjähriger Abwesenheit wohlbehalten in Berlin an. | |
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Jetzt findet die entscheidende Weichenstellung für sein zukünftiges Leben statt. Durch Prof. Lichtenstein, den Direktor des zoologischen Gartens vermittelt, lernt er Alexander von Humboldt [7] kennen. Der findet Gefallen an ihm, Möllhausen verlobt sich mit dessen Patenkind Karoline, der Tochter des Kammerdieners Seifert (in Wirklichkeit – davon wird heute ausgegangen – eine uneheliche Tochter Alexander von Humboldts), und erfährt von nun an eine massive Förderung durch von Humboldt. ![]() Bei dem bekannten Maler Eduard Hildebrandt [8], einem Freund von Humboldts, nimmt er Zeichenunterricht. |
![]() ![]() Die Route der Whipple-Expedition ![]() Navajos Reports of Explorations and Surveys, to accertain the most practicable and economical Route for a Railroad from the Mississippi River to the Pacific Ocean. – Washington: A. O. P. Nicholson, Printer. 1856. |
Aus ungeklärtem Grund, anscheinend angefeindet und betrogen von Verwandten, nach nur vier Monaten Aufenthalt in Berlin, bricht Möllhausen 1853 mit Empfehlungsschreiben von Alexander von Humboldt und Professor Lichtenstein zu seiner zweiten Reise nach Amerika auf. Wieder hat er vor, für immer in Amerika zu bleiben, seine Braut will er nachkommen lassen. Die Empfehlungsschreiben ermöglichen es ihm, an einer elf Monate dauernden amerikanischen Der offizielle Expeditionsbericht, der so genannte „Whipple-Report“, ist vor allem wegen des darin enthaltenen Berichts über die auf der Expeditionsroute ansässigen Indianerstämme (REPORT UPON THE INDIAN TRIBES, vollständig illustriert nach Vorlagen von Balduin Möllhausen) eines der wichtigen Dokumente der Erforschung des amerikanischen Westens. |
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Doch nach Berlin zurückgekehrt, wird er durch die Protektion Professor Lichtensteins und Alexander von Humboldts, die sich für ihn beim König Friedrich Wilhelm IV. verwenden, Kustos der Bibliotheken in den Schlössern in und um Potsdam mit Wohnung, gesichertem Einkommen und wenig Arbeit. Er heiratet 1855 (das erste Kind, Alexander, wird im gleichen Jahr geboren) und arbeitet an seinem ersten Buch – dem Bericht über die Expedition. Mit diesem Reisewerk TAGEBUCH EINER REISE VOM MISSISSIPPI ZU DEN KÜSTEN DER SÜDSEE … wird Möllhausen, nicht zuletzt auch wegen der von Alexander von Humboldt geschriebenen Einführung, allgemein bekannt. |
![]() Die Route der Ives-Expedition ![]() Steamboat “Explorer” (Chimney Peak) ![]() Mouth of Diamond Creek. Colorado River, View from the South ![]() Mojaves ![]() ![]() Die „Saxonia“, das Schiff, mit dem Möllhausen aus Amerika zurückkehrte. |
Die Druckvorlagen für das Buch sind noch nicht fertiggestellt, da wird er von der amerikanischen Regierung als Assistent einer Expedition zur Vermessung und Erforschung des Colorado unter Leitung von Leutnant Ives, den er schon bei der letzten Expedition kennengelernt hatte, angefordert. Im August 1857 – kurz vorher wird ihm noch vom König der Rothe Adler Orden verliehen – beginnt die dritte Amerikafahrt. Am 1. Juni 1858 erreichen sie Albuquerque, wo die Expedition endet. Ives reist mit der Postkutsche nach Kalifornien, Möllhausen aber zieht zusammen mit einigen Expeditionsmitgliedern auf dem „Santa Fe Trail“ durch die Prärie nach Fort Leavenworth, fährt dann mit einem Missouridampfer nach St. Louis und weiter mit der Eisenbahn nach New York und Washington. Am 1. September 1858 verlässt Balduin Möllhausen Amerika. Nach dreizehn Monaten Abwesenheit ist er wieder in Berlin. Nach Amerika kommt er nicht mehr. In Amerika wird wieder ein offizieller Expeditionsbericht erstellt, dessen Illustrationen zu einem großen Teil von Möllhausen stammen. Er selbst verarbeitet die Erlebnisse der Expedition in einem weiteren Reisebericht REISEN IN DIE FELSENGEBIRGE NORDAMERIKAS BIS ZUM HOCHPLATEAU VON NEU-MEXICO, UNTERNOMMEN ALS MITGLIED DER IM AUFTRAGE DER REGIERUNG DER VEREINIGTEN STAATEN AUSGESANDTEN COLORADO-EXPEDITION mit 12 Tafeln von Heinrich Leutemann (1824– 1905) nach seinen Originalen. |
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Balduin Möllhausen wird nun ein anerkannter Schriftsteller. 1860 wird er zum korrespondierenden Mitglied der Historical Society of New-Mexico ernannt. Er macht die Bekanntschaft des Prinzen Friedrich Karl von Preußen, zu dem sich engere freundschaftliche Bindungen entwickeln und wird ständiges Mitglied der berühmten Tafelrunde des Prinzen im Jagdschloß Dreilinden.
Balduin Möllhausen erlebt als hochangesehener Bürger seinen achtzigsten Geburtstag. Kaiser Wilhelm verleiht ihm den königlichen Kronenorden III. Klasse. Vier Monate später, am 28.Mai 1905, stirbt er. Auf eigenen Wunsch wird er in seinem ledernen Jagdrock beerdigt. Sein Grabstein trägt die Inschrift: Mein Leben war Köstlich Sein Grab [14] (ein Ehrengrab des Landes Berlin) findet man auf dem Garnisonsfriedhof [15] (neben dem islamischen Friedhof) am Flugplatz Tempelhof hinter der Moschee. |
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Geboren wurde Heinrich Balduin Möllhausen am 27. Januar 1825 in Bonn. Sein Vater, Philipp Carl Heinrich Ludwig Möllhausen, war preußischer Artillerie-Offizier und seine Mutter, Baronesse Elise Aurora Therese von Falkenstein, entstammte einem pommerschen Adelsgeschlecht. Als Balduin Möllhausen etwa 11 Jahre alt war (vermutlich Anfang des Jahres 1836), verließ der Vater, [16] ein Abenteurer, die Familie und verschwand nach Amerika. Am 29. Dezember 1837 starb im Alter von 8 Jahren ein jüngerer Bruder an „Wassersucht“ und am 31. Dezember 1837 starb die Mutter an „Schwindsucht“ – man mag sich das Weihnachtsfest vorstellen – und um ihn und und seine verbliebenen drei Geschwister ‚kümmerten‘ sich nun Verwandte. Vormund wurde Graf Reinhold von Krassow, der das Schloss Divitz (bei Barth an der Ostsee) bewohnte. Die Geschwister (die Schwester Elisa Adelheid starb im folgenden Jahr) wurden getrennt. Balduin Möllhausen durfte das Gymnasium nicht beenden, er durfte nicht Maler werden, er wurde gezwungen, (vermutlich im Gut Divitz, das sicher auch Vorbild für die vielen Gutshöfe und Schlösser seiner Romane war) eine landwirtschaftliche Ausbildung zum Gutsinspektor durchzumachen. |
Einzelheiten aller dieser Katastrophen, die, anders als bei Karl May, ohne sein Zutun über ihn hereingebrochen sind und die die Geborgenheit seiner Kindheit abrupt beenden, spiegeln sich in seinem Werk. Wen wundert es, wenn ein wesentliches Motiv in den meisten seiner Romane die Heilung zerstörter Familien sein wird, das Finden verlorengegangener Familienmitglieder, das Zusammenführen versprengter Familienteile, die Lösung von Rätseln und Geheimnissen um Herkunft und Familienzugehörigkeit. Die Wiederherstellung von meist durch schurkische Machenschaften und des Erbes wegen zerstückelten Familien ist aber nicht nur sein persönliches Motiv, sondern auch ein zentrales Motiv der Abenteuerliteratur des 19. Jahrhunderts, zu finden im „Waldläufer“ von Gabriel Ferry, bei Eugène Sue (Die Geheimnisse von Paris), bei vielen anderen und am Ende des Jahrhunderts immer noch lebendig in den Romanen Karl Mays (Old Surehand, Der verlorene Sohn, Deutsche Herzen). Möllhausen hat diesem Muster seine eigene Ausprägung gegeben durch die Aufteilung der Handlungsräume. Das Unheil wird in Deutschland, manchmal auch in anderen Ländern der alten Welt, angezettelt. Hier sind schurkische Advokaten am Werk, Erbschleicher umgarnen unschuldige Mädchen, Kinder werden geraubt und vertauscht, Jesuiten gehen ihren geheimen Plänen nach, in düsteren Kneipen nach Sue’schem Vorbild werden finstere Verbrechen ausgeheckt, Intriganten stürzen ganze Familien ins Unglück, unschuldig Verfolgte flüchten nach Amerika und sind dort verschollen. Um die zerstörte bürgerliche Ordnung wieder herzustellen, ist die Reise nach Amerika unverzichtbar. In den von Möllhausen meisterlich geschilderten Landschaften des fernen Westens, nach Kämpfen mit Indianer und Banditen vereinigen sich dann die Getrennten, lösen sich die Rätsel. Die funktionale Aufteilung der Handlungsräume, ein Abbild von Möllhausens Erfahrungen, ist für den Bereich der Unterhaltungsliteratur eine geniale Erfindung, da sie es ermöglicht, Gesellschaftsroman, Detektivroman und exotischen Abenteuerroman unter einem Dach zu vereinen. Die Zweiteilung der Romanwelt wird zu Möllhausens Markenzeichen. Balduin Möllhausen bezieht in seinen Romanen Stellung gegen die Sklaverei, gegen Rassismus, gegen die Jesuiten und gegen religiösen Fanatismus überhaupt, gegen den Krieg, gegen die an den Indianern begangenen Verbrechen und er beklagt deren Untergang mit großer Eindringlichkeit – war er doch mit vielen befreundet. Er schreibt auch einige Seeromane, nimmt mit DIE HYÄNEN DES KAPITALS (1876) die negativen Seiten des Kapitalismus zur Kenntnis und hängt mit zunehmendem Abstand zu der Zeit seiner Reisen immer mehr melancholischen Erinnerungen nach. Immer spürbar ist seine zutiefst menschliche Grundeinstellung, ganz deutlich dann, wenn es um Außenseiter geht. Solch mitfühlende Darstellungen von körperlich Behinderten, wie z. B. des Anton in der MANDANENWAISE, sind in der zeitgenössischen Literatur sonst nicht zu finden. | |
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In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist Balduin Möllhausen einer der meistgelesenen Schriftsteller Deutschlands, angefeindet von dem Konkurrenten Friedrich Gerstäcker, der Möllhausens Romane als Schund bezeichnet, und Ende der Achtzigerjahre langsam verdrängt von Karl May, der nichts von dem gesehen hat, worüber er schreibt und dessen Name bei den Möllhausens – wie kolportiert wird – nicht ausgesprochen werden darf. Einzigartig in der Literatur ist, dass vierzig Jahre lang (fast) jährlich ein neuer Roman erscheint. Das Schicksal Sealsfields, der noch zu seinen Lebzeiten völlig vergessen wurde, bleibt ihm erspart. Seine Ehrlichkeit verbietet es Möllhausen, allmächtige Helden zu erfinden, er folgt auch hier seinen Erfahrungen und beschreibt die Bestehung von Abenteuern als Teamwork. Seine Geschichten sind hochromantisch. Sie bieten Spannung, viele Geheimnisse, fein dosierte Aktion, aber nur wenig grobe Gewalt. Auch Sentimentalität und vor allem die meisterhaften Landschafts- und Naturbeschreibungen sind unverzichtbare Bestandteile. Nichts von all dem ist wirklich geeignet, um daraus Jugendlektüre-Verschnitt zu fertigen und so blieb seinem Werk dieser Weg, auf dem „Karl May’s Gesammelte Werke“ und einige Romane von Friedrich Gerstäcker sich bis in unsere Zeit gerettet haben, versperrt. |
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Eine illustrierte Gesamtausgabe mit 30 Bänden (stark gekürzt und bearbeitet) erschien zwar bald nach seinem Tod in Leipzig beim Paul List Verlag, [17] aber zu einem unglücklichen Zeitpunkt – der 1.Weltkrieg ging darüber hinweg – und nach dem Krieg war er dann beim Lesepublikum praktisch vergessen. Seit den 90er Jahren ist wieder ein wenig Interesse an Möllhausen festzustellen, auch ausgelöst durch die mächtige May-Forschung, die in Balduin Möllhausen eine wichtige Quelle Karl Mays entdeckt hat. Es liegen nun einige Veröffentlichungen über Balduin Möllhausen vor (von Friedrich Schegk kleinere, verstreut erschienene Arbeiten zur Biographie und von Andreas Graf [18] u. a. eine Biographie mit gewaltigem Materialanhang und erstmalig ein Buch, das sich mit dem Inhalt von Möllhausens Werk beschäftigt). Von Möllhausen waren zuletzt auf dem deutschen Buchmarkt vier (zum Teil mehrbändige) Editionen der von Andreas Graf herausgegebenen Reprint-Ausgabe des Olms-Verlags und die im ABLIT-Verlag [19] erschiene Reihe ROMANE UND ERZÄHLUNGEN VON BALDUIN MÖLLHAUSEN erhältlich. |
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Andreas Graf: Der Tod der Wölfe. – Berlin: Duncker & Humblodt. 1991 |
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