BALDUIN MÖLLHAUSEN:
Die Bilder

... Wo war aber der Herzog unterdessen? ...
Ungereimtheiten am Sandy Hill Creek

Charles Camp Negative
Das Lager am Sandy Hill Creek
(Möllhausen und der Herzog vor dem Zelt)
sign.: B.Möllhausen
Rolle 6, Nr.7

Das Bild oben zeigt Möllhausen mit dem Herzog Paul Wilhelm von Württemberg vor ihrem Zelt am Sandy Hill Creek. Ihre Reise war katastrophal gescheitert, ihr Überleben ungewiss.

Auf dem folgenden Bild ist Möllhausen dann allein.

Wo war aber der Herzog unterdessen?


© Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg
Das Lager am Sandy Hill Creek
Aquarell, weiß gehöht
14x22 cm
bez.u.r. Möllhausen
Aquarellsammlung 2236

"... Schon Zeitgenossen hatten die merkwürdige Rolle des Herzogs beim desaströsen Ende dieses Unternehmens kritisch vermerkt. Friedrich Kurz schrieb am 11. Mai 1852 in sein Tagebuch:

    "Unlängst sollen Otoes einen Preußen namens Müllhausen [!] in trostlosem Zustande mit einem Wagen ohne Pferde am Platte gefunden haben. Als Begleiter des vom Hofe verbannten Herzogs Paul von Württemberg hütete er dessen Silbergeschirr. Wo war aber der Herzog unterdessen?" [1]

Möllhausens selbst schreibt:

    ... Mehrere Tage hatten wir auf die kläglichste Weise hingebracht, als die vom Fort Kearney am Flachen Fluss kommende Post uns fand und es so einzurichten wusste, dass einer von uns beiden noch in dem kleinen mit sechs Maulthieren bespannten Wagen Platz fand, während es dem andern überlassen blieb, sich so bequem wie möglich in dem kleinen Zelt einzurichten und nach besten Kräften sein Dasein zu fristen. In der katholischen Mission, an welcher der Wagen vorbei musste, und die nur noch 80 bis 100 Meilen vom Sandy Hill Creek entfernt sein konnte, sollte der Gerettete Leute mit Pferden annehmen, um den Zurückgebliebenen nebst den Sachen zu retten, der sonst ein gewisses, qualvolles Ende vor sich hatte. Mich traf denn das unglückliche Loos, in der winterlichen Wildniss in der schrecklichsten Lage allein zurückzubleiben. ... [2]

Für diesen lebenswichtigen Vorgang, der einem Todesurteil gleichkam, ist dies eine bemerkenswert oberflächliche Beschreibung. Der Begriff "Loos" ist zudem (bewußt?) sehr doppeldeutig. Graf schreibt dazu:
"... Das fatale Desinteresse des Herzogs an seiner Person (=Möllhausen) blieb für die Öffentlichkeit unkommentiert. ..." [3]


Paul Wilhelms Darstellung - die Tagebücher des Herzogs.

Die Tagebücher des Herzogs wurden in der Württembergischen Landesbibliothek in der Nacht vom 12. zum 13. September 1944 bei einem Bombenangriff vernichtet.
In den Jahren 1930 bis 1934 wurde von einem Friedrich Bauser (1870-1934, Jurist und Archivar) eine "Abschrift" im Auftrag amerikanischer Interessenten hergestellt. Außerdem hat er eine Lebensbeschreibung des Herzogs gefertigt. Die "Abschrift" mit Lebensbeschreibung (über 1000 Blätter Handschrift) wurde 1956 von dem Schwiegersohn Bausers, Paul Rau, an die Württembergische Landesbibliothek verkauft.

In dem von Siegfried Augustin herausgegebenen Tagebuch-Band "PRINZ WILHELM VON WÜRTTEMBERG. REISEN UND STREIFZÜGE IN MEXIKO UND NORDAMERIKA. 1849-1856.- Stuttgart. Wien: Thienemann. 1986. (Edition Erdmann)" gibt der Herausgeber keine näheren Auskünfte über den von ihm benutzten Text. Er schreibt: "... Grundlage des vorliegenden Buches bilden private Abschriften, die vor dem Krieg angefertigt wurden. ..." Es kann sich hierbei nur um die "Bauser-Abschrift" handeln. Hier die beiden Textstellen:

Augustin:

"... Als am 20. November [!] die Lage ganz hoffnungslos schien, sandte Gott Hilfe. Sie kam in Form der Mail-stage von Fort Laramie, und die sie begleitenden Leute, die selbst im Winter die westliche Post von Kalifornien besorgen, fanden mich und meinen Begleiter.
Wir überließen es dem Schicksalsspruch, wer von uns beiden seinen Weg mit der Mail fortsetzen sollte. Der Zufall begünstigte mich.
[...] Mit tiefem Kummer im Herzen verließ ich meinen treuen, wackeren Gefährten mit dem Versprechen, ihm so schnell wie möglich Hilfe von der Ansiedlung der katholischen Mission zu schicken. ..."

Bauser-Abschrift:

"... Als am 25. November die Lage ganz hoffnungslos schien, sandte Gott Hilfe. Abends kam die Mail-stage vom Fort Laramie, und die sie begleitenden Leute, die selbst im Winter die westliche Post von California besorgen, fanden mich und meinen Begleiter.
Wir überließen es dem Schicksalsspruch, wer von uns beiden seinen Weg mit der Mail fortsetzen sollte. Der Zufall begünstigte mich.
[...] Mit tiefem Kummer im Herzen verließ ich meinen treuen, wackeren Gefährten mit dem Versprechen, ihm so schnell wie möglich Hilfe von der Ansiedlung der katholischen Mission zu schicken. ..."

Diese Texte waren bisher die Grundlage für ein leidlich intaktes Bild des Herzogs in dieser Angelegenheit.
Bauser hat seine Abschrift (nicht nur) hier gefälscht und Augustin hat die falsche Darstellung übernommen..
Louis C. Butcher veröffentlichte in der NEW MEXICO HISTORICAL REVIEW, Band 17, Nr.3, Juli 1942 eine Übersetzung der Bauser-Abschrift und fügte in erheblichem Umfang weitere Verfälschungen hinzu. Viele Wissenschaftlern haben seither diese unkorrekte Übersetzung in gutem Glauben für ihre Arbeiten benutzt.

Zum Glück wurde das Tagebuch des Herzogs im Jahr 1935 von dem amerikanischen Wissenschaftler Dr. Charles Camp und seiner Frau Jessie fotografiert. Von den Fotografien stellte Prof. Dr. H. Miller eine bisher unveröffentlichte Abschrift her. Hier findet sich folgender Text:

    25tn Nov.
    "... Dienstag wurde mein letztes Pferd, der Indianer Pony elend und starb noch am selben Tag. Das Wetter klärte sich auf. Die Krankheit der Pferde schien allgemein zu sein und fiel besonders dadurch auf, dass der Rücken der Thiere wund wurde und Rotz [mucus] aus der Nase floss, die Pferde magerten dann schnell ab und fielen plötzlich in tödliche Schwäche. Abends kam die Mail-Stage von Fort Laramie; mit großen Opfern und nach langem Bitten erhielt ich endlich einen Platz in dem besetzten Wagen, der mich an 100 Dollars kostete, und zwar dadurch, dass ich meinen Maulesel mit Sattel und Zeug einem Passagier für seinen Platz in der Stage geben mußte."

Kein Wort über Möllhausen. Ungeklärt bleibt, was aus dem Passagier geworden ist, dessen Platz der Herzog einnahm. Ist er auf dem Kutschbock weitergefahren oder ist er der Kutsche mit dem Maultier gefolgt?

    26tn Nov.
    "Ich fuhr früh 7 Uhr vom Great Sandy Creek ab. Das Wetter war trübe und rauh. Als wir uns dem Rock-river 16 Meilen vom Sandy-creek näherten, fiel Thauwetter ein, welches sich aber in Schneegestöber verwandelte und bis zum Abend in den heftigsten Schneesturm überging. ..."

Möllhausen wird nicht erwähnt, auch in den Eintragungen der nächsten Tage nicht. Am 29. November erreicht der Herzog die Gegend der Missionsstation und übernachtet im Haus von Peter Bourbonnais, einem Halbblut. Er schreibt hier u.a.:

    "... Nachts streckte ich mich am Kamin behaglich in meinem Lager, Gott für meine Rückkehr unter Menschen dankend. Kräftige junge Mestizen und sehr schmucke Squaws erheiterten mich und ich konnte in meiner Lieblingssprache plaudern. ..."

Immer noch kein Wort über Möllhausen. Erst in der Eintragung für den 30. Nov. taucht Möllhausen wieder auf:

    "... Nach dem stattlichen Frühstück besah ich Pferde, um solche für den Wagen zu kaufen, da ich Möllhausen abholen lassen musste, es waren schöne große Thiere, sollten aber 85 $ das Stück kosten. Ein Indianer, der mit den Thieren und Vorräten sogleich abging, ist spurlos verschwunden. Er muss unfern des Big blue river feindlichen Indianern, wahrscheinlich Pahnis, in die Hände gefallen sein. ..."

Graf kommentiert: "... Damit (= die Absendung des Indianers) glaubte der fürstliche Reisende, seiner Pflicht genügt zu haben. In seinem Tagebuch erwähnt er den treuen Gefährten fast des gesamten vergangenen Jahres von nun an nicht mehr. Selbstverständlich und ungerührt geht er davon aus, dieser sei zu Tode gekommen. ..." [4]

Völlig ungeklärt bleibt die Frage, wie der Herzog zu dieser Zeit (auch wenn man davon ausgeht, dass die Tagebucheintragungen vielleicht erst in Booneville vorgenommen worden sind) wissen wollte, dass der abgeschickte Indianer sein Ziel nicht erreichte. Wurde er vielleicht gar nicht abgeschickt?

Am 7. Dezember erreicht der Herzog mit der Postkutsche Booneville am Missouri, wo er bleibt, um auf ein Dampfboot aus St Louis zu warten. Hier endet am 16. Dezember dieser Teil des Tagebuchs.

In den Beilagen zu den Nummern 51-55 der Augsburger Allgemeinen Zeitung vom 20. bis 24. Februar 1852 ist in Fortsetzungen ein Brief des Herzogs veröffentlicht, den dieser am 11. Dezember 1851 aus Booneville abgeschickt hatte und in welchem er einen Überblick über seine Reise gibt.

Graf schreibt: "... Daß er den Mann, der seit einem dreiviertel Jahr sein ständiger Begleiter gewesen war, schmählich seinem Schicksal überlassen hatte, verschweigt der Herzog bei der Beschreibung seiner eigenen Strapazen vornehm. ..." [5]

Hier der Abschnitt über das Erlebnis am Sandy Hill Creek, in dem Möllhausen nicht einmal erwähnt wird:

    "... Den 14.Nov. trat, als ich unweit eines kleinen, beinahe trockenen Baches die Nacht durch lagerte, ein furchtbarer Orkan mit Schneefall und grimmiger Kälte ein, es war kaum möglich Feuer anzuzünden, und ich fand kaum Mittel mich vor dem Erfrieren zu schützen. Drei Pferde erfroren alsbald, und die andern Thiere litten entsetzlich. Ich schleppte mich noch 15 englische Meilen weiter, aber 180 Meilen vom Kanzas mußte ich an einem Gießbach, dem Big Sandy-Creek, liegen bleiben, der grausige Winter brachte alle Pferde bis aufs letzte um, und verlassen, ohne Nahrungsmittel, in verbrannter Steppe, einer fürchterlichen Kälte und dem gewaltigsten Sturm, beinahe ganz obdachlos, preisgegeben, sah ich stündlich meinem Tode entgegen. Meine von der Kälte beschädigten Glieder und mein vom Hunger erschöpfter Körper waren so steif, daß ich mich kaum bewegen konnte. In diesem Zustand sandte Gott Hülfe. Die Leute welche selbst im Winter die westlichen Correspondenzen vom Fort Laramie besorgen und einige ihrer Begleiter fanden mich und brachten mich bis nach der Independence, der westlichsten Stadt des Missouri-Staates. ..."

Der Brief des Herzogs an Möllhausen vom 10. März 1852 gibt auch keine weiteren Aufschlüsse, zeigt lediglich Spuren von schlechtem Gewissen und steht doch sehr in Widerspruch zu den Tagebucheinträgen:

    "Mein lieber Herr Moellhausen!
    Mit innigster Freude las ich Ihr Schreiben von Bethlehem und in demselben Ihre glückliche Rettung. An mir lag es bestimmt nicht daß die von mir in Bewegung gesetzte Hülfe nicht an Sie gelangte, aber der entsetzliche Winter dessen Strenge bis hier in den Süden sich drängte, machte wahrscheinlich alle Versuche misslingen und Buisbora von Putowatomi County konnte das mir zugesicherte Wort Wohl nicht erfüllen? Als ich Ihren Bericht las schauderte es mich, doch hob sich die Seelenangst in der ich seither lebte und welche sich von Tag zu Tag mehr steigerte, als ich zu den Fleischtagen (-töpfen ?) Egyptens, nach mühevoller Reise gelangt, nichts mehr von Ihnen hörte und Sie verloren wähnte. Nun sehen Sie Gott hat Sie auch gerettet und wird an Ihnen einen Gläubigen mehr zählen!? Herr Consul Angelrodt schreibt mir Ihretwegen auf das Theilnahmvollste und dieser mein würdiger Freund wird meine Bitte erfüllen für Ihre schnelle Rückkehr nach St.Louis baldigst zu sorgen und Ihnen das nöthige Geld anzuweisen. Ich glaube selbst dass Sie Wagen und Pferdegeschirre verkaufen sollten. Die Otoes (Orac-toc-ta-ta) die ich genau kenne haben auch mir gute Dienste früher geleistet, es sind keine solchen Bestien (Schun Kape früherer Chef der Otoes war mein Freund) wie Lipon und Kayouas, die inzwischen tüchtig Amerikaner tod schlugen. In allen Blättern war mein Tod angezeigt und in Deutschland wußte man es nicht anders. Vors Erste weiß ich keinen anderen Platz, als bei mir, der ich Sie mit herzlicher Sehnsucht erwarte, nachdem ich mein Versprechen treulich erfüllt habe, daß es Ihnen recht miserabel gehen würde und Sie nicht als Grüner zurückkehren würden. Jetzt werden Sie des Robinsons Abentheuer mit Andacht lesen können. Es ist mir sehr lieb dass Sie die Arsenik gerettet haben und wünsche mir dass Sie solche in Ausbälgen
    (Aas- ?) leeren möchten. Ich freue mich sehr Sie in den Illinois (?) wohin ich in 8-1 Tagen über St.Louis heimkehre wieder zu sehen und erwarte mit Spannung Ihre Ankunft durch den nächsten Missouri Steamer.
    Herzlichst der Ihrige
    Paul Wilhelm
    Herzog von Württemberg.
    Hier ist voller Sommer.
    Adressed: Balduin Möllhausen,
    Bethlehem,
    Ufer Missouri.
    " [6]

Hat der Herzog seinen Begleiter Möllhausen schmählich im Stich gelassen?

Es ist schwer zu glauben, dass der Herzog zu Gunsten von Möllhausen, den er zu jener Zeit lediglich als Dienstboten betrachtete, auf seine eigene Rettung verzichtet hätte. Es gibt eine Fülle von Ungereimtheiten und in den zeitnahen Tagebucheinträgen des Herzogs findet sich keinerlei Hinweis auf eine Losentscheidung.
Die Losentscheidung scheint mir eine spätere Erfindung des Herzogs zu sein.
Möllhausen, der den Herzog nicht angreifen, aber hier auch nicht lügen wollte, wählte die zweideutige Formulierung "Mich traf denn das unglückliche Loos" und der Herzog fügte zu einer wesentlich späteren Zeit (wahrscheinlich 1859, nachdem Möllhausen durch seine Beziehung zu Humboldt und das Erscheinen des "Tagebuchs einer Reise ..." kein "Niemand" mehr war) folgende Notiz in sein Tagebuch (auf der Rückseite des Blattes mit dem Text vom 25. November) ein:

    "Mein Begleiter Herr Balduin Moellhausen u. ich hatten es dem Schicksalsspruch überlassen wer den Weg mit der Mail Stage fortsetzen sollte. Der Zufall begünstigte mich. Mit tiefem Kummer im Herzen verlies ich meinen treuen wackeren Gefährten, dem ich Hülfe von den Ansiedlungen zusendete, die aber ihr Ziel verfehlte; er war spurlos verschwunden, durch den harten Winter oder feindliche Indianer ins Verderben geführt. Die namenlosen Leiden und die beinahe an ein Wunder grenzende Rettung des muthigen und biederen Herrn Moellhausen sind durch die Veröffentlichung seiner Schicksale (!) bekannt und nach beinahe jahrelanger Trennung wurde mir die Freude zu Theil mich mit ihm in New Orleans wieder zu vereinigen."

Die Fälschung von Bauser bestand hier darin, dass er Passagen aus dieser nachträglich eingefügten Notiz als Teil des Tagebuchs ausgegeben hat.

Der Herzog schreibt in einem Brief an Alexander von Humboldt im August 1856:

    "... Wie viele Drangsale und Gefahren wir (Der Herzog und Möllhausen) bestanden haben, wird Hochderenselben bekannt sein und die Geschichte vom Schluss dieser westlichen Expedition klingt so fabelhaft, dass ich es für gerathener halte so wenig wie möglich darüber verlauten zu lassen. ..."

Möllhausen schreibt in einem Brief vom 6.Juni 1853 an seinen Freund Charles Rau:

    "... um so mehr, da ich erkenne, daß meine Fähigkeiten mehr werth sind, als den Launen u. Schrullen eines einzelnen charakterlosen Menschen zu dienen. ..." [7]

[1] Andreas Graf: Der Tod der Wölfe

[2] »»» der gesamte Text

[3] Andreas Graf: Der Tod der Wölfe

[4] Andreas Graf: Der Tod der Wölfe

[5] Andreas Graf: Der Tod der Wölfe

[6] zitiert nach Preston Albert Barba: Balduin Möllhausen The German Cooper

[7] Andreas Graf: Der Tod der Wölfe



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