BALDUIN MÖLLHAUSEN
TEXTE
Beschreibung der Reise mit Herzog Paul Wilhelm von Württemberg und die folgenden Erlebnisse. 9 Teile.

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"...den Ort meiner unbeschreiblichen Leiden und Qualen..."
Balduin Möllhausen über seinen Aufenthalt am Sandy Hill Creek.

Der Text erschien unter der Bezeichnung:
Erzählung der Abenteuer in Nebrasca
in
Tagebuch einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee. Eingeführt von Alexander von Humboldt.- Leipzig: Hermann Mendelsohn. 1858.

Kap.IX, Seite 90

Es war im Spätherbst 1851, als ich in Gesellschaft eines andern Herrn auf der Rückreise von den Felsengebirgen nach dem Missouri begriffen war. Wir waren nur unserer zwei. Als wir so am öden Nebrasca oder Flachen Flusse hinzogen und uns zeitweise zwischen Büffelheerden hindurchwanden, hatten wir manches böse Abenteuer mit den Indianern zu bestehen, die uns auf alle mögliche Weise belästigten, ausplünderten, und was das schlimmste war, eines unserer Pferde durch einen wüthenden Tomahawkhieb in den Kopf tödteten. Die Last, die sonst von vier kräftigen Pferden getragen worden, fiel nunmehr auf drei, oder vielmehr auf zwei Pferde und einen Maulesel, die durch langen Futtermangel schon sehr geschwächt, nun vollends ihre letzten Kräfte zusetzten. Wir konnten mit Bestimmtheit annehmen, dass der erste Schneesturm uns auf einmal unserer letzten Thiere berauben, und uns selbst dadurch dem grössten Elende Preis geben würde. Es traf so ein, wie wir vorausgesehen. Bis an den Sandy Hill Creek, der in den Big Blue mündet, hatten wir uns mühsam geschleppt, als der plötzlich aufspringende, eisige Nordsturm uns fast im Schnee begrub und unser letztes Pferd tödtete. In einem kleinen, indianischen Zelte, welches wir bei Fort Laramie von einem Pelzjäger erstanden, bei schlechtem Büffelfleisch, etwas Reis und und türkischem Weizen mussten wir nun unser Geschick ruhig erwarten. Mehrere Tage hatten wir auf die kläglichste Weise hingebracht, als die vom Fort Kearney am Flachen Fluss kommende Post uns fand und es so einzurichten wusste, dass einer von uns beiden noch in dem kleinen mit sechs Maulthieren bespannten Wagen Platz fand, während es dem andern überlassen blieb, sich so bequem wie möglich in dem kleinen Zelt einzurichten und nach besten Kräften sein Dasein zu fristen. In der katholischen Mission, an welcher der Wagen vorbei musste, und die nur noch 80 bis 100 Meilen vom Sandy Hill Creek entfernt sein konnte, sollte der Gerettete Leute mit Pferden annehmen, um den Zurückgebliebenen nebst den Sachen zu retten, der sonst ein gewisses, qualvolles Ende vor sich hatte. Mich traf denn das unglückliche Loos, in der winterlichen Wildniss in der schrecklichsten Lage allein zurückzubleiben. Ich hatte keine andere Gesellschaft als die der Wölfe, die sich mit jedem Tage in grösserer Menge um mich herum einstellten, und wüthend von Heisshunger nur den Zeitpunkt abzuwarten schienen, in welchem ich, kraftlos, ihnen keinen Widerstand mehr würde leisten können, um dann über mich herzufallen und mich, und vielleicht auch das lederne Zelt in ihrer Gier zu verzehren.

Als ich den Wagen mit den einzigen menschlichen Wesen, die ich auf Hunderte von Meilen im Umkreise wusste, auf der weissen Fläche hatte verschwinden sehen, war meine erste Arbeit, meine Schusswaffen in die beste Ordnung zu bringen und mir in dem engen Zelte, so gut es gehen wollte, zur Hand zu legen. Es waren eine doppelte und eine einfache Büchse, eine Doppelflinte, vier Pistolen und ein sechsläufiger Revolver, wozu noch eine schwere Axt und ein langes Messer kam. Mit diesen Mordinstrumenten glaubte ich mich schon gegen eine ganze Anzahl von Wilden bei einer etwaigen, ungewünschten Zusammenkunft vertheidigen zu können, und von dieser Seite gewissermassen beruhigt, ging ich daran, mich noch besser gegen die immer mehr zunehmende Kälte und den treibenden Schnee zu sichern, der mit äusserster Genauigkeit die kleinsten Oeffnungen im Zeltleder als Thüren zu benutzen wusste. Ein Wall von festgestampftem Schnee umgab bald meine improvisirte Wohnung, und einen Vorrath Holz, welchen ich vom nahen Fluss heraufgeschleppt hatte, häufte ich vor meiner niedrigen Thüre auf; eine kleine Höhlung im Boden vor meinem Lager, welches aus Büffelhäuten und Decken bestand, bildete Kochherd und Ofen zugleich. Meine Lebensmittel nun, die aus einigen Stücken Büffelfleisch, etwas Reis, Kaffee und Pferdefutter bestanden, theilte ich mir in vierzehn Tagesrationen ein; ich lebte nämlich der Meinung, dass spätestens nach Ablauf von vierzehn Tagen die von der Mission zu erwartende Hülfe eintreffen würde. Nachdem ich also auf diese Weise meine ersten Vorkehrungen getroffen, verkroch ich mich in meine Decken und Pelze, um liegend das kleine Feuer vor mir zu schüren, das kärgliche Mahl zu bereiten, und dann die erste Nacht in der grossen Wildniss einsam zu verbringen. Wenn man einen Menschen nahe weiss, und wenn es nur ein Kind ist, kann man sich nie so ganz verlassen fühlen; die menschliche Stimme, selbst klagend, klingt tröstend, und nie ist es mir mehr aufgefallen, als an diesem ersten Abende; ich versuchte laut mit mir selbst zu sprechen, doch grauenhaft verhallt der Ton der eigenen Stimme, wenn er nur das eigene Ohr trifft. Als die Sonne im Begriff war, hinter neu aufsteigenden Schneewolken zu verschwinden, und ihre letzten Strahlen über das weite Schneefeld sandte, begann ein Concert, welches mir zwar nicht mehr neu, jetzt aber doppelt unangenehm in der Einsamkeit klang. Eine Heerde von Prairiewölfen brach in helles Geheul aus, und zu ihrem langgezogenen Diskant gesellte sich der tiefe Bass des grauen und des grossen, weissen Wolfes; auf Minuten verstummte die wilde Musik, und erhob dann ein Vorsänger seine helle, durchdringende Stimme, so fiel der ganze Chor mit voller Kraft ein, und der Wind trug die unharmonischen Klänge weit fort über die Einöde. — In der Schlucht, wo von den gefallenen Pferden nichts geblieben war, als die polirten Gebeine, von den Halftern und Leinen nichts, als die eisernen Ringe, da entspann sich ein wüthender Kampf, und an dem hellen Gejammer konnte ich deutlich erkennen, dass die kleinen Prairiewölfe immer das Feld räumen mussten. Ich versuchte Stunden lang die Zahl der in der Schlucht versammelten Thiere aus den Stimmen herauszufinden, doch musste ich es zuletzt aufgeben; es war eine traurige Beschäftigung, die mir indessen in der schwarzen, stürmischen Nacht einige Zerstreuung gewährte. Ich schlief endlich vor Ermattung ein, und wurde durch den Hunger geweckt, als die Sonne schon hoch am Himmel stand. Eine Nacht ist überstanden, dachte ich, indem ich einen Kerb in eine der Zeltstangen schnitt, wenn doch erst vierzehn Tage vorbei und die zu erwartenden Menschen hier wären! Es musste zwischen dem 16. und 18. November sein, und ich rechnete aus, dass ich zu Weihnachten auf der Mission würde sein können, glaubte damals aber noch nicht, wie sehr ich mich verrechnete. Der Tag verging langsam und trübe, ich schleppte Holz und Wasser zu meinem Bedarf heran, und bemerkte zu meinem grössten Schrecken, dass eine lähmende Schwäche in meine Füsse gezogen war, die mich wie einen Betrunkenen taumeln machte. In trauriger Stimmung sass ich vor meinem Zelte, und beobachtete gierig, vom Hunger getrieben, das in einem Kessel kochende und brodelnde Wasser, wie es die einzelnen Maiskörner in die Höhe und Tiefe warf. Meine kleine Thonpfeife hatte ich mit gedörrten Weidenblättern gestopft, und mechanisch blies ich den beissenden Dampf von mir, als ich einige Reiter sich von Norden her nähern sah, die bepackte Pferde vor sich hertrieben. Auf alle Fälle vorbereitet, erwartete ich dieselben unbeweglich mit Ruhe. Ich erkannte sie bald als Indianer, die, von der Biberjagd kommend, ihren Ansiedelungen am Kansas zueilten und wusste daher, dass ich von ihnen nichts zu fürchten haben würde. Auf Schussweite angekommen, redete der eine von ihnen mich auf englisch an, und benahm mir jedes Misstrauen, indem er sich als einen Delawaren zu erkennen gab. Bald sass er an meiner Seite vor dem Feuer in meiner kleinen Wohnung, während seine beiden Begleiter, ein paar wild aussehende, junge Burschen, draussen am Feuer es sich ebenfalls auf ihre Art bequem machten. Lange und eindringlich redete der Indianer mir zu, um mich zu bewegen, alle meine und meines Gefährten Sachen den Indianern und den Wölfen zu überlassen, und mit ihm an den Missouri in sein Wigwam zu ziehen. Die Wölfe, sagte er, werden sich mehr und mehr um Dich zusammenziehen, und Dir nicht Tag oder Nacht Ruhe lassen, und wenn Dich die bis hierher streifenden Pawnees entdecken, dann werden sie Dich ausplündern und obendrein skalpiren. Ich schlug sein Anerbieten aus, und suchte ihm zu beweisen, dass in spätestens zwei Wochen Leute mit Pferden eintreffen müssten, wodurch es mir möglich sein würde, nicht nur alle Sachen, von denen die wenigsten mir gehörten, zu retten, sondern auch die Reise in einem kleinen Wagen zu machen, eine Reise, die mir jetzt zu Pferde oder gar zu Fusse wegen meiner Schwäche unmöglich sei. Die Hülfe der Weissen wird Dir nicht werden, sprach der ehrliche Delaware, schlechte Pferde können nicht bis zu Dir durchdringen, und gute Pferde und ihr eigenes Leben wagen die Weissen auf der Mission nicht, um einen Menschen zu retten, den sie nach der Schilderung, die ihnen Dein Gefährte gemacht, längst werden aufgegeben haben. Aber ich sehe, das Wort eines Weissen gilt Dir mehr, als der Wille und die That einer Rothhaut: Du hast die Wahl, mögest Du Dich nicht täuschen. Ich verharrete in meinem Vorsatz, und habe es oftmals bitter, sehr bitter bereut. Zum Abschied gab mir der Indianer zur Vermehrung meines so kleinen Proviants noch die frische Keule einer Antilope, drückte mir die Hand, und ohne sich weiter nach meinem Zelte umzusehen, verfolgte er seinen Weg in südlicher Richtung, und ich war wieder allein. Es ist mir nicht möglich, die Leiden der nächsten acht Tage zu beschreiben; ich war dergestalt gelähmt, dass ich auf den Knieen zum Wasser und zurück in mein Zelt kriechen musste. Im Kopfe wirbelte es mir wie einem Betrunkenen und mein Gedächtnis fing an zu schwinden, wie ich glaube in Folge der furchtbaren Kälte. Die Schneestürme heulten über die öde Steppe und drohten mich zu begraben; während der Nächte durfte ich kein Auge schliessen, denn die Wölfe durch den Heisshunger noch wüthender und dreister gemacht, schwärmten immer dichter um mich herum. Dumpf heulend beschrieben besonders die grossen, weissen, immer engere Kreise um meine Wohnung, ich hörte den Schnee unter ihren Füssen knistern; gespannt lauschte ich auf jedes Geräusch, und wartete, bis der erste seine Zähne in das Zeltleder geschlagen hatte; schnell feuerte ich dann auf gut Glück mit dem Revolver durch die dünne Wand in die dunkle Nacht hinaus. — Erschreckt flohen die Bestien, um nach einigen Stunden den Angriff mit demselben Erfolge zu wiederholen.

Den Tag über, wenn die lichtscheuen Thiere sich nicht zu nähern wagten, konnte ich etwas ruhen, doch welcher Art war die Ruhe dann? Ich hatte unter den Sachen, die mich wie ein Chaos in dem engen Raume umgaben, eine Flasche Laudanum entdeckt, die in Verbindung mit einer Büchse Chinin unsere Feldapotheke ausgemacht hatte. Durch eine gute Dosis Laudanum also, die ich des Morgens nach Beendigung meines kärglichen Mahles zu mir nahm, bewerkstelligte ich einen künstlichen Schlaf, der mehrere Stunden dauerte. Fröhliche, bunte Bilder umgaukelten mich dann im Traume, ich fühlte weder Kälte noch Schmerzen, ich war empfindungslos, ich war glücklich. Beim Erwachen trat aber die nackte Wirklichkeit mit all’ ihren Schrecknissen und Qualen wieder vor meine Sinne. Da lag ich mit steifen, fast gelähmten Gliedern; die einzigen Kleidungsstücke die mir von den räuberischen Pawnees gelassen waren, reichten nicht mehr aus, mich während des Aufenthaltes im Freien gegen die Kälte zu schützen, und eine um die Schultern geworfene Büffelhaut musste Alles ersetzen. Neun Tage hatte ich auf diese Weise verlebt, neun Kerbe hatte ich in die Zeltstange geschnitten, als ich früh beim Erwachen unfähig war, mich so weit zu bewegen, um Holzvorrath zum wärmenden Feuer heranzuschleppen. Düster sann ich über meine Lage nach, Rettung auf gewöhnlichem Wege schien mir nicht mehr möglich, ohne einen wirklichen Entschluss gefasst zu haben, setzte ich die Opiumflasche an die Lippen, ich trank mehrere lange Züge, ich trank die Flasche fast leer. Bald darauf fiel ich in eine tiefe Betäubung, so dass ich selbst unzugänglich für Träume war. Wie lange ich gelegen habe, weiss ich nicht; als ich erwachte war es dunkle Nacht, der Sturm tobte und rüttelte wüthend an den Zeltstangen und übertönte fast das Geheul der Wölfe; ein brennender Durst quälte mich und meine Füsse waren erstarrt von Kälte. Mit Mühe blies ich die unter der Asche glimmenden Kohlen zur Flamme und netzte meinen trockenen Gaumen mit schmelzendem Schnee. Als nun der erste Durst gestillt war, da stellte sich der peinigenste Hunger ein, der mich trieb, wie wahnsinnig an dem rohen, gefrorenen Büffelfleisch zu nagen; es schmeckte mir köstlich; ohne an die Zukunft zu denken, röstete ich mir ein Stückchen nach dem andern auf den Kohlen, und verzehrte wenigstens drei Tagesrationen. Gegen Morgen fühlte ich mich freier, die quälende Krankheit war wie durch einen Zauber gebrochen, und doppelt süss schien mir wieder das Leben, selbst ein Leben unter den entmuthigendsten Umständen. Auf meine Büchse mich stützend, wanderte ich wieder etwas umher, die Bewegung wirkte wohlthuend auf mich, und in wenigen Tagen war ich so weit, dass ich mich nach einer nahen Anhöhe begeben konnte, um von dort aus meine Blicke in der trostlosen Ferne umherirren zu lassen. So wie meine Kräfte trotz der grässlichsten Noth zunahmen, so nahm mein kleiner Vorrath von Lebensmitteln ab; ich musste darauf sinnen auf irgend eine Weise neue anzuschaffen, denn noch auf Nachricht oder Hülfe von der Mission zu hoffen, wäre thöricht gewesen; ich war darauf gefasst, den ganzen langen Winter an dieser Stelle liegen zu bleiben. Der Gedanke war mir unangenehm, doch weniger beunruhigend, denn so lange die Wölfe noch nicht verhungerten, mussten sie mich nähren. Ich hatte zwar bis jetzt meine Zuflucht noch nicht zu ihrem Fleisch genommen, doch Hunger vertreibt sehr leicht den Ekel, und es kostete mich gar keine Ueberwindung, zum ersten Male auf dem zähen, sehnigen Fleisch, welches jeden Antheils von Fett entbehrte und einem Stück Sohlenleder nicht unähnlich war, mich müde zu kauen. Als ich diese erste merkwürdige Mahlzeit gehalten, und fand, dass sie mir trefflich gemundet hatte, da war ich fröhlich und guter Dinge, denn meine Speisekammer war mit einem Male reichlich gefüllt, und Pulver und Kugeln im Ueberfluss vorhanden. Beim Aufgang der Sonne brauchte ich nur den kleinen Vorhang meines Zeltes zu lüften, in der Oeffnung, die mir die Aussicht nach dem Ufer des Flüsschens bot, im Anschlage liegen zu bleiben, und ich konnte gewiss sein, dass die eine oder die andere der dort im Gebüsche umherschleichenden Bestien mir gestatten würde, ihr eine Kugel durch den Schädel zu schicken. Den kleinsten und besten Theil des erlegten Wolfes erklärte ich nur als gute Beute. Ich habe mich übrigens bei dieser Gelegenheit davon überzeugt, was ich sonst nie habe glauben wollen, dass diese Thiere ihre eigenen Kameraden verzehren, denn es genügte eine Nacht, um den von mir unbenutzten Theil bis auf die blanken, zerstreut liegenden Knochen verschwinden zu sehen. — Träge gingen die Tage dahin, langsamer noch die Nächte, meine Spaziergänge hatte ich allmälig etwas ausgedehnt, ich war wieder im Stande zu singen und zu pfeifen, was ich übrigens nur übte, um mich aufzuheitern und meine Sinne zusammenzuhalten; ich hatte nämlich meine Gedanken schon mehrere Male auf Abwegen ertappt, was mir nicht wenig Besorgniss einflösste. Die sechszehnte Kerbe hatte ich auf meiner Kalenderstange eingeschnitten, als ich wie gewöhnlich nach Beendigung meines überkargen Mahles, eine Büffelhaut fest um meine Glieder schnürte, die Büchse unter den Arm nahm und meinen alten Weg nach dem nahen Hügel einschlug. Der nächtliche Schneesturm hatte die Spuren, die ich am vorhergehenden Tage zurückgelassen, zugeweht, und langsam watete ich im tiefen Schnee die Anhöhe hinauf. Die Sonne war schon im Sinken und liess ihre Strahlen in schräger Richtung auf die endlose, weisse Ebene fallen; kein Lüftchen regte sich; es wurde mir warm in dem zottigen Büffelpelz, obgleich der Athem wie Perlen in der schwarzen Wolle, die mein Gesicht umgab, festfror.

Oben auf dem Hügel angekommen, schaute ich nach allen Seiten in die weite Ferne, und bemerkte zu meinem grössten Schrecken zwei menschliche Gestalten, die sich von Norden her in der Richtung nach meinem Lager zu, bewegten. Ich sage zu meinem Schrecken, denn der Anblick eines Menschen war mir so fremd geworden, dass ich weit entfernt war, Freude darüber zu empfinden, umso mehr, da die beiden, die sich erst wie Punkte in der schimmernden Ebene ausnahmen, aus einer Gegend kamen, von wo ich nur die räuberischen Pawnees vermuthen konnte. Waren es Pawnees, so durften sie mich nicht unvorbereitet in meinem Zelt finden, ich musste sie im Freien erwarten, ihre Gesinnungen und Absichten ausfindig zu machen suchen, und ihnen meinen Skalp so theuer wie nur möglich zu verkaufen. Ich hatte noch beinahe eine Stunde Zeit, um meine Vorkehrungen zu treffen; hatten sie nämlich erst den Punkt erreicht, wo ich gestanden, und von wo aus sie mein kleines Reich zu übersehen vermochten, so war es zu spät, mich selbst ihren scharfen Augen zu entziehen. Unverzüglich eilte ich in mein Zelt zurück und bewaffnete mich mit allem, was ich nur schleppen konnte. Die zurückgelassenen Waffen, nachdem ich die Zündhütchen von denselben entfernt hatte, versteckte ich unter den Decken, legte hinreichend Holz auf die glimmenden Kohlen, so dass fortwährend eine Rauchsäule der Kamin-Oeffnung entstieg, und indem ich dann rückwärts das Zelt verliess, schloss ich vorsichtig den Vorhang, der als Thüre diente, jedoch so, dass es den Anschein gewann, als habe der am Feuer ruhende Bewohner denselben von innen befestigt.

Der Sandy Hill Creek war nur 100 bis 150 Schritte von dem Zelte entfernt und floss in einem ziemlich genauen Halbkreise um dasselbe herum; er hatte hohe, mit Gestrüpp bewachsene Ufer, und deshalb lenkte ich dorthin meine Schritte, um mir ein Versteck zu suchen. Vorsichtig und genau setzte ich meine Füsse in die Spuren, welche ich im tiefen Schnee zurückgelassen, als ich am Morgen, um Wasser zu schöpfen, an den Fluss gegangen war, und die mich an einer bequemen Stelle auf das spiegelglatte Eis führten, von welchem der nächtliche Sturm jede Probe von Schnee hinweggeweht und am steilen Ufer in hohe Bänke zusammengetrieben hatte. Auf dem Eise zog ich die Ueberreste der Schuhe von meinen Füssen, um mit den daran befindlichen Nägeln keine verräterischen Schrammen auf der glatten Fläche zu reissen, und schlich, leise auftretend, der Krümmumg des Flusses auf eine kurze Strecke nach, so dass die Entfernung zwischen mir und dem Zelte etwas verringert wurde, und ich dasselbe von einer andern Seite dennoch deutlich beobachten konnte. Zwischen zwei Schneebänken kroch ich die steile Uferwand hinauf und setzte mich am Rande derselben in eine solche Lage, dass ich zwischen den aus dem Schnee hervorragenden Halmen und Sträuchern hindurch unbemerkt einen Blick auf die Scene vor mir werfen konnte, jedoch ohne dabei in dem freien Gebrauch meiner Waffen gehindert zu sein. Lange lag ich und lauschte, die unruhige Erwartung liess mich die Kälte nicht fühlen, obgleich meine Hand an dem kalten Büchsenlauf beinahe festfror. Jetzt tauchten die Köpfe der beiden Wanderer hinter dem nahen Hügel hervor, und in einigen Minuten standen sie auf dem Gipfel, von wo aus sie mit Ueberlegung mein Lager betrachteten und augenscheinlich mit einander berathschlagten. Ich verfolgte mit den Augen ihre leisesten Bewegungen und konnte mich eines Bebens nicht erwehren, als ich wahrnahm, dass sie ihre Büffelhäute zurückwarfen, ihre gefüllten Köcher nach vorne zogen und die Sehnen ihrer Bogen aufspannten. Ihre feindlichen Gesinnungen waren unverkennbar; ich sah voraus, was mir bevorstand, wenn ich unterlag; ich war aber gerüstet und wusste, dass, einmal im Bereich meiner Büchse, ihr Leben mir gehörte. Entkommen durfte ich sie nicht lassen, wenn ich sie nicht in einigen Tagen mit einer ganzen Rotte ihrer Gefährten zurückkehren sehen wollte. Nachdem die beiden Indianer einige Zeichen miteinander gewechselt, trennten sie sich, der eine, um der von mir auf dem Hügel zurückgelassenen Spur, die geradezu in’s Zelt führte, zu folgen, während der andere , die Blicke auf den Boden gerichtet, in einem Bogen das kleine Lager umschlich. Die nach dem Wasser führende Fährte untersuchte er aufmerksam, doch schien er befriedigt, nachdem er sich überzeugt hatte, dass die eine nach dem Flusse hin und die andere von da zurückführte. Geräuschlos näherte er sich seinem Kameraden, der, in der linken Hand mit dem Bogen, in der rechten mit einem Pfeile, die verdeckte Oeffnung des Zeltes bewachte. Kein Wort wurde gewechselt: der zuletzt angekommene hob einen Finger, machte das Zeichen des Schlafens, indem er die rechte Hand auf seine Wange legte und den Kopf auf die Seite neigte, wies dann auf den wirbelnden Rauch, stellte den Bogen vor sich auf den Boden, nahm den bereit gehaltenen Pfeil zwischen die Lippen, machte mit den Händen das Zeichen des Schiessens, worauf er wieder nach seinem Bogen griff, und den Pfeil, wie sein Gefährte, auf die Sehne legte. Ein Schauder überlief mich; hätte ich mich wirklich noch im Zelte befunden, so wäre ich rettungslos verloren gewesen, nur zu gut hatte ich ihre Zeichen verstanden: »Es lebt hier nur ein Mann, er liegt dort am Feuer und schläft, einige Pfeilschüsse reichen hin, uns die reiche Beute zu sichern.« Dies waren ihre Gedanken; beide stellten sich so auf, dass die rasch nach einander abgeschickten Pfeile, nachdem sie sich leicht ihren Weg durch die dünnen, straff gespannten Zeltwände gebohrt, im rechten Winkel auf der leeren Lagerstelle begegnen mussten.



Kap.VIII, Seite 75

Das Blut stockte mir in den Adern und ich hörte mein Herz pochen, als ich jeden der beiden Wilden rasch hintereinander je vier oder fünf Pfeile in das Zelt schicken sah; in diesem Augenblicke merkte ich so recht, mit welcher Liebe der Mensch, selbst in der trostlosesten Lage, doch an seinem Leben hängt. Nichts rührte sich hinter den dünnen Lederwänden; die Indianer lauschten und näherten sich vorsichtig der verhangenen Thüröffnung. Der eine legte den Bogen zur Seite, ergriff seinen Tomahawk und liess sich vor der Oeffnung auf die Kniee nieder, während der andere mit dem Pfeil auf der Sehne einige Schritte entfernt Wache stand. Ich hatte unterdess den geschorenen Schädel des Knieenden auf’s Korn genommen und in dem Augenblicke, wo er die Hand nach dem Vorhang ausstreckte, stach ich den Drücker des Büchsenlaufes. So leise das Geräusch auch war, so schien es doch, als hätten sie beide es vernommen. Sie stutzten, indem sie ihre Blicke sorgfältig umherwarfen. Der Knieende war mir jetzt weniger gefährlich, ich änderte daher die Richtung meines Gewehres so, dass die nackte Brust des andern, der schussfertig dastand, meine Zielscheibe wurde, und ohne zu Zögern gab ich Feuer. In dem Augenblicke, als ich abdrückte, musste des Indianers scharfes Auge mich entdeckt haben, denn er sprang blitzschnell zur Seite; die Kugel hatte ihn aber noch gefasst und er fiel mit einem lauten, durch Mark und Bein dringenden Schrei zu Boden. Der zweite war aufgesprungen, doch nur um eine ganze Ladung Rehposten in Gesicht und Hals in Empfang zu nehmen und lautlos neben seinem stöhnenden Kameraden hinzustürzen. Meine Feinde waren jetzt todt oder unschädlich, aber ein unbeschreibliches Gefühl der Verzweiflung überfiel mich, als ich an das dachte, was ich eben vollbracht, und was meiner vielleicht noch harrte. Nachdem ich mein Gewehr wieder geladen, näherte ich mich mechanisch der blutigen Scene; ich vermochte kaum den Blick auf dieselbe hinzurichten und nur das Stöhnen des Verwundeten weckte mich aus meinem sinnlosen Brüten. Schrecklicher Anblick! Da lagen beide vor mir in ihrem Blute, sie, die noch vor wenigen Minuten in voller Lebenskraft dastanden. Freilich, was veranlasste sie einen Mann hinterlistig zu überfallen, einen Mann, den sie noch nie gesehen und der ihnen noch viel weniger ein Leid zugefügt hatte? Sie waren ein Opfer ihrer eigenen Raubsucht geworden. Der leblose Körper des jungen Burschen lag ausgestreckt vor mir, der Tomahawk war der entschlafften Faust entfallen, das mörderische Blei war ihm in den Hals und in das Auge gedrungen und hatte sein broncefarbiges Gesicht grässlich entstellt. Ich legte ihn auf die andere Seite, um dem entsetzlichen Anblick zu entgehen, und wendete mich zu dem Verwundeten. Es war ein älterer Mann, seine langen schwarzen Haare bedeckten fast ganz sein Gesicht, aus welchem zwei Augen mit dem Feuer des grimmigsten Hasses mir entgegen funkelten. Die Kugel war unterhalb der linken Schulter durch die Brust gegangen, ob nun tödtlich oder nicht, ich kann es nicht sagen; die blutende Wunde aber und die von Schmerz krampfhaft verbissenen Zähne erweckten das unendlichste Mitleid in mir. Ich beugte mich über ihn und sucht mich ihm durch Zeichen und einzelne Worte verständlich zu machen, theilte ihm mit, dass ich ihn in mein Zelt schleppen und seine Wunden waschen und heilen, ihn mit meinen Decken erwärmen und pflegen wolle, wenn ich dadurch seine Freundschaft und Treue erwerben könne. Er verstand meine Absicht, eine wilde Freude leuchtete plötzlich in seinem Gesicht auf, als er mir durch das indianische: Hau, hau! Seine Zustimmung zu erkennen gab. Ich war froh, ich war glücklich; ich hoffte den Leidenden zu retten und einen treuen Freund und Gefährten in der schrecklichen Einsamkeit in ihm zu gewinnen. Als ich in mein Zelt eilen wollte, um darin einige Vorbereitungen zur Aufnahme des Verwundeten zu treffen, rief mich sein lautes Stöhnen zurück; er winkte mir, mich ihm zu nähern und mit dem Finger der linken Hand auf den rechten Arm deutend, welcher auf unbequeme Art unter seinem Rücken lag, bat er mich durch Zeichen denselben hervorzuziehen. Ohne Argwohn kniete ich bei ihm nieder, doch kaum berührte ich seinen Arm, als die mit dem Messer bewaffnete Hand blitzschnell unter seinem Körper herausfuhr, und während seine Linke mich in der Seite ergriff, führte er rasch hinter einander mit der Rechten zwei Stösse nach meiner Brust. Die Stösse waren mit grosser Sicherheit, aber mit geringer Kraft geführt: ich wehrte beide mit dem rechten Arme ab und mit dem linken mein Messer ziehend, welches ich wie die Indianer auf dem Rücken im Gurt trug, stiess ich dem rachsüchtigen Indianer dasselbe mehrere Male in die Brust. Er röchelte leise, ein Blutstrom entstürzte seinem Munde, er reckte sich lang aus und ich war wieder allein, allein in der unendlichen, winterlichen Wüste, allein unter Leichen und Todten! Als ich mich erhob, fühlte ich warmes Blut an meinem Arme herunterrieseln und jetzt sah ich erst, dass ich selbst verwundet war. Beim Zurückschlagen des Messers war mir das erste Mal die scharfe Schneide über die ganze Länge des Unterarmes gefahren und beim zweiten Stoss hatte die Spitze den Arm fast an derselben Stelle, doch nur leicht getroffen. [...] Die Nacht, die auf diesen verhängnisvollen Tag folgte, [...] war die schrecklichste meines Lebens, denn ich war nahe daran, wahnsinnig zu werden. Die beiden Leichen waren nur wenige Schritte von mir entfernt und ich selbst lag auf meinen Decken und kühlte mit Schnee meine Wunden. An Ruhe oder Schlaf war nicht zu denken: denn die Wölfe, durch den Geruch des frischen Blutes zur grössten Wuth gereizt, heulte auf grauenvolle Weise um mich herum und hätten mir nicht erlaubt die Augen zu schliessen, selbst wenn die innere Aufregung nicht schon hinreichend gewesen wäre, dem Schlafe Widerstand zu leisten. Mehrere Male feuerte ich mit den Pistolen in die finstere Nacht hinaus, um die hungrigen Bestien zu vertreiben, doch blieb mir zuletzt weiter nichts übrig, als geduldig und in mein Schicksal ergeben den Anbruch des Tages zu erwarten. Bei erstem Tagesanbruch beeilte ich mich, die beiden Erschlagenen fortzuschaffen, um dadurch zugleich die gefährliche Gesellschaft der Wölfe aus meiner Nachbarschaft zu entfernen; hierbei musste es aber auch meine Aufgabe sein, die beiden Indianer spurlos verschwinden zu lassen, da ich nicht wissen konnte, ob nicht neue Feinde dieses Weges kämen, in welchem Falle die blutigen Spuren augenblicklich über mein Geschick entschieden haben würden. Ich näherte mich also den leblosen Körpern und fand den einen zu meinem namenlosen Schrecken in veränderter Lage und auf die ekelhafteste Weise von den Wölfen angefressen.

Der Hunger trieb mich an, die Leichen zu durchsuchen und ich eignete mir die unter ihrem Gürtel verborgenen Stücke getrockneten Büffelfleisches zu. Alles Uebrige, was dazu hätte dienen können mich zu verrathen, wickelte ich zu den Leichnamen in die entsprechenden Büffeldecken, schnürte dieselben fest zu und brachte dann einen nach dem andern unter den grössten Anstrengungen nach dem nahen Fluss, wo ich die Oeffnung im Eise, die mir als Brunnen diente, erweiterte und beide unter die starke Eisdecke schob, um sie von der Strömung unter derselben fortrollen zu lassen. Nachdem ich diese traurige Arbeit vollbracht hatte, zündete ich Feuer auf der Stelle an, wo die beiden Räuber ihr Blut gelassen, so dass selbst der Wolf vor dem Aschenhaufen die Witterung verlieren musste. Zur Nacht stellte sich der gewöhnliche Schneesturm wieder ein, und vertilgte vollends die letzten Spuren, die zu einer Entdeckung hätten führen können; der heisere Ruf der Raben mischte sich nach gewohnter Weise mit dem Geheul der Wölfe und jetzt erst gab ich mich wieder dem Gefühle der Sicherheit und der Hoffnung auf Rettung hin, um so mehr, da mein Vorrath an Lebensmitteln durch etwas gedörrtes Fleisch vermehrt war.

Die Weihnachtszeit rückte heran, die Einsamkeit war mir fast zur Gewohnheit geworden, und mechanisch fristete ich auf die dürftigste Weise mein Leben; die Wildniss hatte ihre Schrecknisse für mich verloren und ziemlich gleichgültig gedachte ich der Zukunft, deren dichten Schleier zu lüften ich nicht das leiseste Verlangen trug. Es machte sogar einen unangenehmen Eindruck auf mich, wenn ich mir zuweilen die Frage aufwarf, was wohl das Ende einer solchen Lage sein würde. Wehmüthig gedachte ich dann der Vergangenheit und wanderte in Gedanken weit, weit zurück, bis dahin, wo mich zum ersten Male der helle Glanz des Weihnachtsbaumes entzückte und freundliche, liebende Menschen mich umgaben; meine Weihnachtsfreuden waren jetzt einfacherer Art: etwas Thee mischte ich unter die dürren Weidenblätter und erfreute mich an dem Duft, den dieselben in meiner Pfeife glimmend erzeugten, während ich auf dem Rücken lag und meine Augen auf den Rauchfang meines Zeltes gerichtet hatte. Durch diesen sah ich den durch Tausende von Sternen erleuchteten Himmel und die Sterne flimmerten und funkelten wie ebensoviele Lichtchen, manchmal schienen sie sogar wie ich selbst vor Frost zu beben und sahen dennoch ebenso freundlich auf mich nieder als ehemals in der sorgenlosen Heimath. — Als ich am nächsten Morgen in’s Freie trat, fiel mir eine Heerde Prairiehühner, die in den Bäumen am Ufer des Flusses sassen, sofort in’s Auge. Das Herz klopfte mir vor Freude, als ich an den Weihnachtsbraten dachte, der mir in Aussicht stand. Nach langer Entbehrung, nach dem widrigen Genuss des zähen Wolfsfleisches steigt (ich sage es fast mit Scham) die sinnliche Begierde. Um diese zu befriedigen, untersuchte ich meine Büchse, wohl wissend, dass die scheuen Vögel mir nicht gestatten würden, mich soweit zu nähern, um eine Schrotflinte gebrauchen zu können. Ein stolzer Hahn war in dem Bereich meiner Kugel, eine unwiderstehliche Beutelust trieb mich indessen, meine Stellung so zu verändern, dass zwei Mitglieder der Heerde mit einem Male fallen sollten; da knackte ein unter dem Schnee verborgener, trockener Zweig unter meinem Fuss und erschreckte die Hühner, die mit schnellem Flügelschlag davonflogen.

Bis zu den ersten Tagen des Januar war mir die Zeit unter Hoffnung und Täuschung, unter Qualen und Entbehrungen hingegangen. Ich lag unter meinen Decken in einem Mittelzustand zwischen Wachen und Schlafen. Da plötzlich in der Mitte eines Tages ward ich durch das Geräusch menschlicher Tritte und zugleich durch den indianischen Anruf: An-tarro-hau! (Hallo, mein Freund!) aus meinen Träumereien geweckt. Blitzschnell waren die Waffen in meiner Hand und fest antwortete ich in derselben Weise; doch ehe ich den Ausgang meines Zeltes erreicht hatte, trafen wie die lieblichste Musik folgende auf englisch gesprochenen Worte an mein Ohr: »Du bist in einer schlechten Lage, Freund!« — »Komm herein!« rief ich vor Freude ausser mir dem Fremden zu; der Vorhang hob sich und herein kroch, nicht, wie ich vermuthete, ein weisser Biberjäger oder reisender Mormone, sondern ein ebenso schmutzig, als wild aussehender Indianer, der eine fünf Fuss lange Büchse vor sich her schob. Als ich misstrauisch eine abwehrende Bewegung machte, rief er mir zu: »Du kannst englisch mit mir sprechen, ich verstehe Dich wohl.« — »Du bist doch ein Indianer, erwiderte ich.« — »Mein Vater war weiss,« antwortete Jener, »meine Mutter war roth, und ich selbst ziehe es vor, Indianer zu sein. Ich bin vom Stamm der Ottoes und befinde mich mit meinen fünf Gefährten und unsern Weibern auf der Heimkehr von der Jagd am Nebrasca nach unsern Wigwams an den Council Bluffs. Der Rauch Deines Feuers hat uns hierher gelockt. Unser Lager ist in einer tiefen Schlucht zwei Meilen von hier, bald werden meine Gefährten zu mir stossen. Wenn Du willst, so ziehe in mein Zelt und wandere mit uns nach unserem Dorfe am Missouri; der Weg ist weit und es liegt viel Schnee, wir müssen gehen, denn unsere Thiere sind mit Beute beladen und wenig Raum wird nur noch für Deine Sachen sein; unsere Weiber werden Mokassins an Deine Füsse schnüren, damit Du keine blutige Spur im scharfe Schnee zurückzulassen brauchst. Entschliesse Dich und sage was Du willst; zuerst gieb mir aber zu essen, ich bin hungrig!« — »Ich kenne die Ottoes als Brüder der Weissen,« antwortete ich ihm, »ich werde mit Dir ziehen und sei es bis an’s Ende der Welt. Was Deinen Hunger anbetrifft, so will ich Dir meinen ganzen Vorrath zu Gebote stellen. Hier sind zuerst die beiden frischen Keulen eines Prairiewolfes, sie sind zwar nicht übertrieben fett, aber wenn Dich so hungert wie mich, so wirst Du zulangen. Hier ist noch ein Bissen getrocknetes Büffelfleisch, hier noch etwas Pferdefutter (Mais) und wenn Du Salz liebst, so brauchst Du nur die Hand nach jenem kleinen Sack auszustrecken, er ist damit angefüllt.« — »Wolfsfleisch ist schlechte Speise,« erwiderte Louis Farfar, der Halbindianer, »wir Rothhäute essen es nur im höchsten Nothfalle, oder gebrauchen es als Heilmittel, wenn wir von Zahnschmerz oder Rheumatismus heimgesucht werden, doch ich bin hungrig, gieb nur her.« Bei diesen Worten schnitt er sich dünne Streifen von den erwähnten Keulen herunter, legte sie auf die Kohlen und füllte die Zeit des Röstens mit Kauen des harten, aber wohlschmeckenden Büffelfleisches aus. Louis Farfar hatte sein Mahl noch nicht beendet, als zwei neue Ankömmlinge sich meldeten, zu uns hineinkrochen und die kleine Wohnung vollständig ausfüllten. Es waren ebenfalls zwei Wilde, die mir ihre Hände freundschaftlich über dem Feuer entgegenstreckten. Der erstere, ein alter runzliger Krieger mit dem Namen Wo-nes-hee, rieb sich die Hände, warf seine Decke von den Schultern, zog seinen Tomahawk, so wie einen ledernen, mit blauen Perlen gestickten Beutel aus dem Gürtel, um das wichtige Geschäft des Rauchens als Zeichen der wohlwollendsten Gesinnungen, vorzunehmen. Der eiserne Hammer des Kriegsbeiles war als Pfeifenkopf ausgehöhlt, eine feine Röhre in dem langen Stiele mündete in denselben, und so konnte die gefährliche Waffe zugleich als harmloses Friedenszeichen benutzt werden. Während Wo-nes-hee nun Tabak und Kine-ke-nick, eine Mischung von Schumach-Blättern und Weidenrinde aus dem Beutel nahm, wendete ich meine Aufmerksamkeit seinem jüngern Gefährten zu. Dieser war ein Mann von riesenhafter Grösse und wie ich, trotzdem er zusammengekauert dasass, wahrnehmen konnte, von untadelhaftem, kräftigem Wuchse. Seine Haare waren ziemlich kurz geschnitten und durch sorgfältige Pflege zum Aufrechtstehen gebracht, während die geflochtene Skalp-Locke (auf dem Wirbel des Kopfes) tief auf den blossen Rücken herabhing. Sein Gesicht war mit schwarzen Streifen geschmückt und trotz des wilden Ausdruckes in seinen Zügen glaubte ich nie einen schöneren Indianer gesehen zu haben. Sein Name war Wa-ki-ta-mo-nee oder der dicke Soldat; er war einer der angesehensten Krieger der Ottoes und mancher Skalp, der seinen Schild zierte, gab Zeugniss seiner tapferen Thaten. Mit der Eigenschaft eines gefürchteten Kriegers verband er auch den Namen eines grossen Medizinmannes, das heisst eines Arztes und Zauberers. Meine unglückliche Lage, besonders aber das Wolfsfleisch, schien das Gefühl des Mitleids in ihm rege zu machen, denn als der alte Wo-nes-hee mir die brennende Pfeife reichte, streckte Wa-ki-ta-mo-nee seine Hand unter dem Vorhang hindurch in’s Freie, und zog das frische, blutige Viertel eines Hirsches herein, welches er bei seiner Ankunft daselbst niedergelegt hatte und jetzt mit gutmüthigem Nicken an meine Seite warf. Ein Mahl wurde nun gehalten, wie ich es in langer Zeit nicht genossen. Farfar’s scharfe Nase hatte unter den unordentlich über einander geworfenen Sachen ein Gefäss mit Talg gewittert, welches zum Schmieren des Wagens mitgenommen war; von diesem wurde ein Theil in der Pfanne geschmolzen, um von dem frischen Hirschfleisch einen duftenden Braten zu schaffen; und wohl gelang es, denn er duftete nicht nur, sondern hatte auch einen so feinen Wohlgeschmack, dass es mir vorkam, als habe ich nie etwas besseres gekostet. Wir assen, wir rauchten und assen wieder, wenig Worte und Zeichen wurden unterdessen gewechselt; bei jedem saftigen Streifen, den ich abschnitt, segnete ich in Gedanken meine rothhäutigen Retter, die ohne weitere Aussicht auf Gewinn bei ihrem Eintritt in verständlichem Englisch sagten: »Du bist hungrig, hier ist zu essen; Du musst hier untergehen, ziehe mit uns; Du bist krank, wir wollen Dich pflegen und kleiden,« und dennoch waren es vor den Augen der frommen Missionäre nur verworfene Heiden, nicht gut genug, als geringste Diener an ihrer Seite zu leben!

Nach Beendigung der Mahlzeit folgte ein Kaffee von gebranntem Pferdefutter, der wiederum von der kreisenden Pfeife des alten Wo-nes-hee gewürzt wurde. Dann trafen wir für den nächsten Tag unsere Verabredung, die dahin ging, dass mit Tagesanbruch meine indianischen Freunde in ihrer ganzen Stärke bei mir eintreffen sollten, um mich nebst allen meinen Sachen in ihr Lager zu führen. Ich hatte von da ab ihre Zelte als meine Heimath und die gastfreundlichen Bewohner derselben als meine Brüder und als treue Gefährten auf Leben und Tod anzusehen. Mit einem herzlichen Lebewohl verliessen mich die braven Rothhäute gegen Abend, um zu ihren mehr wohnlichen Wigwams in der tiefen Schlucht zurückzukehren und ich hatte also nur noch eine einzige Nacht einsam in der Steppe zuzubringen.

Mit wie ganz andern Gefühlen wickelte ich mich an diesem Abend in meine Decken, nachdem mir ein so tief rührender Beweis geworden, wie liebevoll die Vorsehung in jeder Lage des Lebens über den Menschen wacht; wie glücklich und zufrieden fühlte ich mich darüber, dass ich während dieser grässlichen sechs Wochen mich nicht einer gänzlichen Verzweiflung und deren etwaigen Folgen hingegeben hatte. Lange lag ich und sann über den Wechsel des Schicksals nach. Vor wenigen Stunden noch heimathlos, hülflos und einem gewissen Verderben preisgegeben — und jetzt? — Ich hätte jauchzen mögen bei dem Gedanken, gerettet und wieder unter den Menschen zu sein. Freilich wusste ich nicht, auf wie lange ich mit den Wilden zu leben gezwungen sein würde, doch ich frohlockte, dass ich zu Menschen gelangen würde, die keines Verrathes fähig schienen und die in mir den Bruder erblickten. Ich bin ihnen Bruder geblieben, so lange ich in ihrer gastfreundlichen Mitte lebte bis zu dem Augenblicke, wo ich ihnen beim Abschiede auf Nimmerwiedersehen die braunen Hände herzlich drückte, und einen traurigen, melancholischen Ausdruck über die Trennung in ihren schwarzen, blitzenden Augen sah, ich bin es ihnen geblieben bis auf den heutigen Tag, an welchem ich mich Gottes schöner, grosser Natur erfreue und in voller, üppiger Lebenskraft dastehe. Ihnen, meinen alten, treuen, indianischen Gefährten habe ich dieses zu danken und nie werde ich sie vergessen, sondern brüderliche Gefühle noch für sie hegen, wenn wir einst Rechenschaft über unser irdisches Leben vor dem abzulegen haben, den diese armen Wilden ihren grossen, guten Geist nennen.

Als am nächsten Morgen die kleine Schaar der Ottoes zu mir stiess, hatte ich alle nur werthvollen Sachen, die theils mir gehörten, theils noch von meinem frühern Gefährten herrührten, in Bündel zusammengepackt; mit dem lebhaftesten Interesse betrachtete ich die übrigen mir noch unbekannten Mitglieder der Karavane, als sie einzeln zu mir traten, um Freundschaft mit mir zu schliessen. Ausser den schon genannten waren es noch Schin-ges-in-ki-nee, ein junger Krieger, Scha-ho-ka-ta-ko, ein Bursche von achtzehn Jahren, Sohn des alten Wo-nes-hee, und der junge Wa-ki-ta-mo-nee, Sohn des Medizinmannes, ebenfalls ein kräftiger Jüngling. Ein Schwarm von Weibern folgte in bescheidener Entfernung den Männern und machte sich, sobald sie angelangt waren, an die Arbeit, alle umherliegenden Sachen in den halbverschneiten Wagen, der noch von meinem frühern Gefährten herrührte, einzupacken, wobei sie nichts vergassen; selbst das festgefrorene Zeltleder wurde über dem Schnee abgeschnitten und zu den übrigen Sachen geworfen. Zu welchem Zwecke der kleine Wagen beladen wurde, konnte ich mir erst dann erklären, als die jungen Leute nebst den Frauen sich vor denselben spannten und theils schiebend, theils ziehend, unter fröhlichem Geschrei und Gejauchze mit ihrer Last die Richtung nach ihrem Lager zu einschlugen. Ich selbst, nur meine Waffen tragend, folgte langsam mit den alten Kriegern nach. Auf der Höhe angekommen, wendete ich mich noch einmal zurück, um einen letzten Blick auf die alte, verlassene Lagerstelle, den Ort meiner unbeschreiblichen Leiden und Qualen zu werfen. Wie öde und still nahm sich alles unter der weissen Decke aus: dort hatte mein Zelt gestanden, dort ich so manche schreckliche Nacht schlaflos zugebracht; feine Rauchwölkchen, die dem Aschenhaufen entstiegen, unter welchem die Kohlen noch glimmten, bezeichneten die Stelle genau. Weiter unten am Ufer hatte ich an jenem verhängnissvollen Tage mit meiner Büchse im Anschlage gelegen, hier waren die Indianer tödtlich getroffen zusammengesunken, ich blickte auf meinen nackten Arm, wo sich die Wunden kaum geschlossen, und dann nach der Oeffnung im Eisse des Flusses, in welche ich die Körper der beiden Erschlagenen versenkt hatte, — ich schauderte — vielleicht auch mit vor Kälte, denn bleifarben und schwer hingen die Wolken hernieder und feine Flocken fingen an zu wirbeln. Dichter zog ich die Büffelhaut um mich und rüstig folgte ich dem vorangeeilten Trupp über den knisternden Schnee.



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