BALDUIN MÖLLHAUSEN
TEXTE
Beschreibung der Reise mit Herzog Paul Wilhelm von Württemberg und die folgenden Erlebnisse. 9 Teile.

3. Teil     1. Teil     2. Teil     4. Teil     5. Teil     6. Teil     7. Teil     8. Teil     9. Teil

... Wer giebt Ihnen das Recht, Menschen zu tödten ...
Der Überfall.

Der Text erschien unter der Bezeichnung:
Fortsetzung der Erzählung der Abenteuer am Nebrasca.
in
Reisen in die Felsengebirge Nord-Amerikas bis zum Hoch-Plateau von Neu-Mexico, unternommen als Mitglied der im Auftrage der Regierung der Vereinigten Staaten ausgesandten Colorado-Expedition. Erster Band.- Leipzig: Otto Purfürst (und) Hermann Costenoble. o.J. (1861).


Elftes Kapitel, Seite 229

Wenige Tage waren erst seit unserm Abenteuer mit den Oglalas verflossen," begann ich meine Erzählung, "und mißmüthig zogen wir Angesichts des Nebrasca dahin. Es fehlte uns an Allem, was uns hätte Erleichterung verschaffen oder zur geringsten Annehmlichkeit dienen können. Unsere armen Pferde litten die schrecklichste Noth, denn das Gras war von den Büffeln bis auf die Wurzeln abgenagt worden, und dennoch schienen die Büffelheerden plötzlich aus unserm Bereich wie verschwunden, woher uns denn auch sogar der Trost einer nahrhaften Speise versagt blieb. Ja, wir waren oft sehr hungrig, und es stellten sich die gewöhnlichen Folgen des Hungers auch bei und ein, das heißt, wir wurden einsylbig in unserer Unterhaltung, und in dem Maaße als unsere körperlichen Kräfte abnahmen, auch zuweilen recht niedergeschlagener Stimmung. Der Weg, der vor uns lag, schien endlos zu sein und nicht kürzer werden zu wollen, obgleich wir unsere matten Thiere Tag für Tag auf der öden Straße weiterquälten. Immer farbloser wurde unsere Umgebung, winterliche Kälte zerriß die Haut an unsern Gliedern, und immer drohender jagten sich die schweren Schneewolken am Himmel, uns gleichsam das Ende unserer Reise verkündend. Es war eine traurige Zeit, und noch immer begreife ich nicht, wie es uns damals gelang, mit einer so grauenhaften Zukunft vor uns, doch mit so viel Ruhe und Ueberlegung den Stand der Dinge zu betrachten und zu besprechen. Der Herzog war indessen ein zu alter, gediegener Reisender, als daß er den Muth hätte verlieren können, und ich selbst war noch unbekannt mit den Schneestürmen der Prairie, vermochte also nicht die drohende Gefahr vollständig zu übersehen.
            Eines Morgens also, nachdem wir kaum erst zwei Meilen zurückgelegt hatten, wurde unsere Aufmerksamkeit durch zwei Punkte gefesselt, die sich anscheinend bewegungslos, in weiter Ferne vor uns in der Straße befanden. Die den Prairien eigenthümlicheAtmosphäre zeigte uns, trotz bewölkten Himmels, die Gegenstände bei jeder Bewegung in so veränderter Gestalt, daß wir nicht wußten, was wir aus denselben machen sollten. Bald glaubten wir zwei ruhende Büffel, bald zwei Raben, bald Indianer, Bald Wölfe vor uns zu haben, und lange stritten wir darüber hin und her, bis wir endlich das erkannten, was wir am wenigsten zu finden wünschten, nämlich Indianer. Als wir uns denselben näherten, erhoben sie sich von der Erde und schritten uns entgegen. Es waren zwei junge Männer, und so wild und unsauber aussehende Gesellen, wie nur je über die Prairie trabten. Ihre Gestalten hatten sie in wollene Decken gehüllt, die ursprünglich weiß gewesen waren, jetzt aber die Farbe des dürren Grases trugen; eine Art Kapuze von demselben Stoffe bedeckte theilweise ihn Haupt, ihre Füße und Beine dagegen waren durch die gewöhnlichen hirschledernen Mokasins und Gamaschen geschützt. In den Händen trugen sie lange Dragonersäbel, die sich, nach ihrem Glanz zu schließen, noch nicht lange in dem Besitze der beiden Wilden befinden konnten, und jedenfalls auf einem neuern Raubzuge erbeutet waren.
            Als sie und erreichten, begannen sie sogleich auf die unverschämteste Weise zu betteln und nach Whisky zu fragen. Natürlich wiesen wir sie zurück, und da sie Miene machten, die Pferde anzuhalten, drohten wir ihnen mit unsern Waffen, worauf sie sich hinter den Wagen begaben, und in der Entfernung von ungefähr funfzig Schritten, augenscheinlich nicht in der besten Absicht, uns nachfolgten. Ich kann es nicht läugnen, die Anwesenheit der beiden Räuber, denn anders kann ich diese Art von Eingeborenen nicht bezeichnen, begann mir sehr lästig zu werden, so daß ich den Herzog um seine Zustimmung ersuchte, dieselben vor den Kopf schießen zu dürfen. Meine Absicht entsprang aus einer sehr großen Unerfahrenheit, dann aber auch aus einem tiefen Haß, den ich, auf den Grund hin, daß ich die Indianer für schuldig an unserm ganzen Unglück hielt, vorschnell gegen dieselben gefaßt hatte, ohne daran zu denken, daß die arme, verfolgte kupferfarbige Race auf ihrem eigenen Grund und Boden, den sie frei von ihren freien Vätern übernommen, tausendfaches Unrecht von den fremden, bleichen Eindringlingen erduldet hatte. Natürlich erblickt der Indianer in jedem Weißen einen Unterdrücker und betrachtet ihn mit einem schwer zu besiegenden Mißtrauen, und eingedenk der erfahrenen Unbilden sucht er sich zu rächen, wenn die Gelegenheit sich dazu darbietet. Wer nun der indianischen Rache flucht, der vergißt der fluchwürdigern Rache der Weißen, der vielfach für ein gestohlenes Pferd zahlreiche Leben zum Opfer fallen. "Du sollst nicht stehlen!" sagt der civilisirte Weiße zu dem Menschen im Urzustande, indem er ihm seine Heimath raubt, den Keim zum Guten in seiner Brust erstickt und dafür die bösen Leidenschaften weckt und anstachelt. "Du sollst nicht tödten!" ruft er ihm wieder zu, indem er für einen begangenen Mord strafend, ganze Nationen in den Staub tritt.

    "Nirgend wird der Werth des Menschen mehr verkannt und von seiner Farbe abhängig gemacht, als in unserm Lande!" unterbrach hier der Doctor meine Erzählung, "die Leute, die sich in rohen Ausbrüchen gegen die indianische Race ergehen, ihr frevelnd jede Bildungsfähigkeit absprechen, und gleichsam auf deren Ausrottung beharren, denken nicht daran, daß sie auf die schamloseste Weise ihre eigene Unwissenheit zur Schau tragen, und nicht im Stande sind, die eigentlichen Ursachen zu erkennen, welche zuerst die Uebel veranlaßten, die jetzt so tief, ja ich möchte sagen fast unheilbar eingerissen sind."

    Ich fuhr in meiner Erzählung fort:

den Plan, die beiden Indianer zu erschießen, wies der Herzog mit Unwillen zurück, indem er mich fragte: "Wer giebt Ihnen das Recht, Menschen zu tödten, denen Sie durch Ihre Waffen so weit überlegen sind?" "Das Recht des Stärkeren," antwortete ich gelassen, "und der Wunsch, uns von der unheimlichen Gesellschaft zu befreien." "Selbst in der Wildniß," fiel der Herzog ein, "wo das Recht des Stärkeren freilich anerkannt wird, soll man doch nur in der Selbstvertheidigung Blut vergießen; glauben Sie übrigens, daß diese beiden Wilden die einzigen in unserer Nähe sind? und glauben Sie, daß wir den Tod derselben, wenn durch uns veranlaßt, vierundzwanzig Stunden überleben würden?" Ich schwieg und ritt mürrisch neben dem Wagen her, überlegte zugleich, ob es unter solchen Umständen wirklich ein so großes Unglück wäre, auf anständige Art skalpirt zu werden. Die beiden Indianer folgten uns von ferne. Nicht weit waren wir so fortgezogen, als wir eine Schwellung in der Ebene erreichten, von deren Höhe aus man die nächste Niederung zu übersehen vermochte. Dort nun erblickten wir, zu unserer sehr geringen Freude, einen Trupp von etwa achtzehn Eingeborenen, die sich an der Straße gelagert hatten, bei unserer Annäherung aber aufsprangen und uns entgegeneilten. Sie glichen in ihrem Aeußern vollkommen den beider zuerst beschriebenen, nur führten sie als Waffen, statt der Dragonerschwerter, Karabiner und Bogen. Wie bei einer frühern Gelegenheit, geboten wir ihnen auch jetzt wieder Halt, und gestatteten ihnen, nach Auswechselung der Friedenszeichen zu und heranzutreten. Die Zusammenkunft schien anfangs ein friedliches Ende nehmen zu wollen, als plötzlich einer der uns Folgeenden seinen Gefährten einige Worte zurief, worauf diese mit der Schnelligkeit eines Gedankens ihre Decken zurückwarfen, ihre Waffen ergriffen, und mit wildem Geschrei auf uns zustürzten. Der Angriff geschah so plötzlich und von allen Seiten, daß wir von unsern Waffen keinen Gebrauch machen konnten, und nur versuchten mit unsern Pferden durchzubrechen. Kaum bemerkten sie aber unsere Absicht, als einer der wilden Gesellen vor den Wagen sprang und dem Handpferde mit dem Hammer des Tomahawks einen Hieb über dem Auge in den Kopf versetzte, daß es für den Augenblick unfähig weiter zu gehen, und starb auch nach einigen Tagen in Folge des furchtbaren Schlages.


Skizzernbuch Nr.2

Wir befanden uns also vollständig in der Gewalt dieser Wilden, und zwar so, daß wir uns nicht zu rühren vermochten. Vor Jedem von uns standen nämlich sechs oder sieben der Räuber, die uns auf äußerst unbequeme Weise ihre gespannten Karabiner vor's Gesicht hielten, oder die Sehne mit dem befiederten Pfeil an's Ohr zogen, und mehr als zu genau nach unserer Brust zielten, Der Herzog hatte seine Doppelflinte ergriffen, doch kaum bestand dieselbe sich in seinen Händen, als sie ihm entrissen, aufgezogen und mit der Mündung vor den Kopf gehalten wurde, so daß ich nicht anders erwarten konnte, als daß das Doppelgewehr sich in den ungeübten Händen entladen und des Herzogs Gehirn zerschmettern würde. Als er dann nach einer Pistole griff, wurde dieselbe ebenfalls seiner Hand entwunden, er selbst halb aus dem Wagen gerissen, die mexikanische Decke, die er um seine Schultern trug, über seinen Kopf gezogen und das Beil gehoben, welches seinem Leben ein Ende machen sollte. Ich selbst hatte in meinem Halstuch die Faust eines Indianers, der meine Kehle recht empfindlich zusammenschnürte, und hing nur noch auf dem Pferde, welches ebenfalls gehalten wurde, während die Pfeile und Karabiner, die mich umgaben, keinen Augenblick ihre gefährliche Richtung veränderten. So standen also die Sachen, ich hatte mit dem Leben abgeschlossen, und konnte nicht anders glauben, als daß mir einige Pfeile, deren Federn recht sorglich mit der Zunge genetzt waren, durch den Leib fahren würden. Diese ganze Scene hatte bei Weitem nicht so lange gedauert, als ich Zeit gebrauche, dieselbe zu schildern, und ebenso schnell waren auch meine Satteltaschen ihres Inhaltes entledigt, und einige Gegenstände aus dem Wagen gerissen worden. Unter den mir geraubten Sachen befand sich auch mein Tagebuch, welches mit Skizzen von Indianern angefüllt war, und ich vermuthe, daß der Anblick der Zeichnungen einen uns rettenden Einfluß auf die Wilden ausübte. Ich kann es mir nämlich nicht anders erklären, als daß in dem Augenblick, welcher unser letzter zu sein schien, die Indianer sich gegenseitig etwas zuriefen und nicht nur plötzlich von uns abließen, sondern auch den größten Theil der geraubten Sachen wieder in der Wagen warfen. Nur eine einfache Pistole des Herzogs behielten sie zurück, überreichten ihm aber statt derselben einen sechsläufigen Revolver, den sie natürlich bei einer frühern Gelegenheit geraubt hatten, und von welchem sie wahrscheinlich keinen Gebrauch zu machen verstanden. Mein Skizzenbuch bekam ich nie wieder zu sehen, ebenso blieb mein Halstuch in der Hand desjenigen zurück, der mich auf so zweideutige Weise geliebkost hatte. - "Die dummen Kerls!" rief der Herzog ärgerlich aus, als er sich von den mörderischen Griffen befreit fühlte. "Tumme Kel! tumme Kel!" wiederholten die Indianer, welche die Bezeichnung nachzusprechen versuchten, und dabei auf die Seite traten. Kaum fühlten wir, daß wir frei und noch im Besitz unserer Waffen waren, als wir unsere Pferde antrieben, und ohne uns weiter um die wilde Bande zu kümmern, ruhig unserer Straße zogen. "Dieses Mal hätten wir unsern Skalp noch gerettet," rief mir der Herzog lachend zu, indem er sich mit der Hand durch die verwirrten Haare strich, auch ich faßte unwillkürlich nach meiner Kopfhaut, die sich ganz gegen mein Erwarten noch auf ihrer alten Stelle befand, und scheute zurück nach der Bande, die sich da, wo wir sie verlassen hatten, niedersetzte und einen Gegenstand aufmerksam zu betrachten schien. Ich untersuchte meine Satteltasche und hetzt wurde ich erst gewahr, daß mir mein Tagebuch fehlte. Ich bezweifelte nun nicht mehr, was die Veranlassung zu unserer fast wunderbaren Rettung gegeben. Der Aberglaube dieser Leute hatte sie in den Bildern Zauberei erkennen lassen, und da diese Zauberei von uns ausgegangen war, konnten wir natürlich nur Medicinmänner sein, deren Leben geschont werden mußte. Der Verlust meiner Zeichnungen und Notizen war mir sehr schmerzlich, doch fühlte ich mich getröstet bei dem Gedanken, daß dieselben wenigstens zu unserer Rettung mit beigetragen hatten. Ich glaubte schon, der Herzog würde mich, wie früher nach dem Messer, jetzt nach dem Buche zurücksenden, und darf ich nicht läugnen, daß ich mich dieses Mal gewiß etwas mehr gegen eine so naive Aufforderung gesträubt haben würde, denn die feindliche Kugel war noch in zu frischem Andenken bei mir. Von meinen Zeichnungen habe ich nie wieder gehört, sie befinden sich jetzt wohl in irgend einem Zauberbeutel der Kioways, denn zu diesem Stamme gehörte nach des Herzogs Ansicht die Gesellschaft, die sich bei unserem Zusammentreffen für Schayenne-Indianer ausgegeben hatte.
            Wir befanden uns kaum dreihundert Schritte von den Indianern, als wir nicht weit von der Straße einen todten Büffel erblickten; ich ritt hinüber und überzeugte mich, daß derselbe noch ganz warm war, und kaum seit einer Stunde erlegt sein konnte; es hatte sogar den Anschein, als ob die Jäger in der Arbeit des Zerlegens durch unser Eintreffen gestört worden wären. Auf meine Mittheilung bog der Herzog vom Wege ab, fuhr seinen Wagen dicht an den Büffel heran. Worauf wir ohne Zögern die unterbrochene Arbeit der Indianer fortsetzten. Wohl selten handhabten zwei Leute Messer und Axt mit einem größern Eifer als wir, die wir ein Stück nach dem andern vom zottigen Riesen herunterschnitten und in den Wagen warfen. Glücklicher Weise hatten die Indianer die besten Theile noch unberührt gelassen, und so waren wir denn im Stande, uns nicht nur einen tüchtigen, sondern auch einen sehr schmackhaften Vorrath von saftigem Fleisch anzulegen. Die Wilden saßen unterdessen noch immer auf der alten Stelle, wie mit ernsten Dingen beschäftigt. Sie schienen nicht geneigt, uns weiter zu belästigen, und daß wir keine sonderliche Lust verspürten, sie zu incommodiren, brauche ich wohl nicht weiter zu versichern. Wir entfernten uns, nachdem wir von dem Büffel so viel genommen, als wir bequem unterbringen konnten, und würden ganz guter Dinge gewesen sein, wenn das verwundete Pferd nicht deutliche Zeichen seiner gänzlichen Erschlaffung gegeben hätte. Wir reisten bis des Abends spät, und vergaßen dann beim duftenden Braten das Hoffnungslose unserer Lage.



zum Seitenanfang