BALDUIN MÖLLHAUSEN
TEXTE
Beschreibung der Reise mit Herzog Paul Wilhelm von Württemberg und die folgenden Erlebnisse. 9 Teile.

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Die Reise mit den Oto

Der Text erschien unter der Bezeichnung:
Des Naturaliensammlers Erzählung seiner Reise mit den Otoe-Indianer.
in
Tagebuch einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee. Eingeführt von Alexander von Humboldt.- Leipzig: Hermann Mendelsohn. 1858.


Kapitel XI, Seite 125

Wenn ein Trupp dieser Wilden in rauhen Jahreszeiten nach einer Rast mehrerer Tage aufzubrechen und schnell zu wandern beabsichtigt und zu diesem Zweck gutes Wetter wünscht, so wenden sie sich direct am ihren Manitu. Sie rauchen und singen zu ihm und setzen dieses so lange fort, bis sie am klaren Wetter erkennen, dass ihr grosser Geist sie erhört hat und mit den ganzen Vorbereitungen zur Reise zufrieden ist. Ich wohnte zum ersten Male dergleichen Feierlichkeiten bei, als ich die Gastfreundschaft der Ottoes, die mich aus der schon früher von mir beschriebenen schrecklichen Lage am Sandy Hill Creek errettet hatten, genoss, und nach einer Pflege von fünf Tagen, welchen Zeitraum diese Leute meinem entkräfteten Körper zuerkannt hatten, für stark genug befunden wurde, von des Morgens bis gegen Abend im tiefen Schnee zu waten. Der Tag des Aufbruchs war also bestimmt und die Vorbereitungen dazu wurden am vorhergehenden Abend getroffen, das heisst, es wurde gutes Wetter für die Dauer der Reise herbeigesungen, und dabei auf folgende Weise zu Werke gegangen:
           Hell flackerte das Feuer in Farfars Zelt, ernst sassen und hockten die Krieger um dasselbe herum; Weiber und Kinder, mit Ausnahme von Wo-nes-hee's Gemahlin, hatten das Zelt verlassen. Der Kessel hing über den Flammen, doch war sein Inhalt nur brodelndes und dampfendes Wasser. Da ich während des Tages die Festlichkeiten des Abends und mit diesen eine reichliche Mahlzeit vermuthete, so hatte ich meinen Appetit etwas geschont, um in der Reihe der Krieger endlich einmal mit Ehren bestehen zu können. Beinahe ungeduldig harrte ich des Augenblicks, in welchem getrocknetes Büffelfleisch und Biberschwänze zum Medizinmahl dem wild schäumenden Kessel übergeben werden sollten. Die Biberschwänze waren schon bereit, doch noch kein Büffelfleisch zu sehen; statt dessen lag nahe dem Feuer an einem Riemen befestigt ein grosser, zottiger Wolfshund, der verschlafen mit den Augen blinzelte.
           Zufällig war es gerade der Hund, dessen besonderer Zuneigung oder vielmehr nächtlicher Zudringlichkeit ich mich zu erfreuen gehabt hatte, und ich schrieb daher seine Fesseln diesem Umstande und der indianischen Höflichkeit zu, die mich in so feierlichen Momenten vielleicht nicht von Hunden belästigt sehen wollte. Ich war ganz unbekannt mit dem tragischen Ende, welches dem armen Thiere bevorstand. Nachdem Wa-ki-ta-mo-nee mit kunstgeübter Hand einige gelbe Linien in meinem Gesicht verbessert und in symmetrische Ordnung gebracht hatte, nahmen die Feierlichkeiten ihren Anfang.
           Die indianische Trommel, ein ausgehöhlter, mit Büffelhaut überzogener Block, wurde in langsamem Takte von den beiden jungen Burschen geschlagen und zu dieser eintönigen, dröhnenden Musik gesellte sich alsbald der wilde, Ohren und Nerven zerreissende Gesang aller Mitglieder: Hau-Hau-Hau- Ottoe-Wine-bag- Ottoe-Wine-bag- kero-kero-li-la! Es war um davon zu laufen. "Kero, Kero, Kero!" heulte er, als das Beil niedersauste und dem armen, schnarchenden Hunde den Schädel zerschmetterte. Der Gesang verstummte, nur wenige Minuten und der Hund war seines Pelzes entledigt und zerlegt. Er wurde alsdann stückweise, nebst einigen Biberschwänzen, in den siedenden Kessel geworfen. Um dich armes, unglückliches Thier verzehren zu helfen, habe ich also heute mehr als mässig gelebt! so dachte ich, als ich jede Probe von Appetit schwinden fühlte. Ich musste aber von dem Medizinmahle geniessen; ich wusste, ich fühlte, dass ich beobachtet wurde und war auf meiner Hut. Das Fleisch der Wölfe, welches weit hinter dem der Hunde zurücksteht, hatte ich ja schon essen gelernt und nur ein kleines Vorurtheil hatte ich also in diesem Falle zu besiegen. Hätte ich das Thier nicht so genau gekannt, so wäre es mir wahrscheinlich leichter geworden. Ich überwand indessen meinen Widerwillen und kann Ihnen versichern, dass kein Hammelfleisch besser schmecken kann, als die wohl zubereiteten Stücke eines Hundes. Nach Beendigung der reichlichen Medizinmahlzeit wurde noch etwas geraucht und dann gingen wir Alle sehr zufrieden hinaus in's Freie, um den Stande des Wetters zu beobachten. Es war furchtbar kalt, der Schnee knirschte unter den Mokkasins, die Sterne funkelten und heiser tönte das Geheul der hungrigen Wölfe durch die Nacht. Der Medizinmann liess seine Blicke nach allen Himmelsgegenden schweifen, wo keine Wolke das schimmernde Firmament trübte. "Der Gesang war gut!" rief er aus, "die aufgehende Sonne bringt günstiges Reisewetter." - "Wenn aber trotz Hundefleisch und Singen ein Schneesturm eintritt?" fragte ich Farfar, den Halbindianer. - "Es kommt oft genug vor," antwortete dieser, "dann singen und essen wir aber unverdrossen so lange, bis wir einen schönen Tag haben, und sind wir erst unterwegs, dann kehren wir uns nicht an Stürme, wenn nur bei unserm Aufbruch die Sonne freundlich geschienen hat."
           Am nächsten Morgen waren unsere Weiber schon in aller Frühe in Bewegung; ich hörte von meinem Lager aus das Getrappel unserer Pferde, die herangetrieben und gesattelt wurden, was mich nicht wenig verwunderte, da ich die Männer, in ihren Decken eingehüllt, noch ruhig liegen sah. Ich war aber mit den Sitten und Gebräuchen dieser Leute noch nicht hinlänglich bekannt, um dies natürlich zu finden. Ich kann Ihnen, lieber Doctor, übrigens versichern, dass sich nichts leichter lernt als das Zusehen, wenn andere Menschen arbeiten; so wurde es mir dann auch in der That nicht schwer, mit meinen Gefährten am Feuer sitzen zu bleiben, bis die Zelte über unsern Köpfen verschwunden und unsere Lagerpelze buchstäblich unter uns fortgezogen waren. Als nun zwei Pferde vor mein schwer beladenes Wägelchen gespannt und die übrigen mit dem Reste unserer Habseligkeiten bepackt waren, setzte sich der alte Wo-nes-hee an die Spitze des Zuges und schritt in nordwestlicher Richtung über die weisse Ebene dahin. Ich blieb mit den Kriegern am Feuer sitzen, die noch eine Pfeife rauchten und anscheinend sich verabredeten, um welche Zeit sie im neuen Lager eintreffen wollten. Endlich trennten wir uns; zu zweien oder dreien verschiedene Richtungen einschlagend, folgten wir dem Lauf kleiner Bäche, an deren Ufer sich spärliches Holz zeigte, wo wir aber Wild im Ueberfluss finden mussten. Ich folgte dem Halfbreed und Sha-ho-ha-ta-ko, und wusste in kurzer Zeit nicht mehr, in welcher Richtung unsere übrige Gesellschaft gefunden werden könnte. Ich muss gestehen, es ist mir heute noch unerklärlich, wie die Indianer in einer endlosen mit Schnee bedeckten Steppe ohne sich je zu verirren reisen können, da sich nichts dort dem Auge bietet, was als Landmarke dienen könnte. So lange ich auch mit den Eingebornen lebte und wanderte, so weiss ich doch keinen einzigen Fall, in welchem sich Einer verirrt hätte oder nicht zur bestimmten Zeit in dem neu errichteten Lager erschienen wäre. Es wurde mir schwer, mit meinen beiden Gefährten, die Halb gehend, halb trabend den Windungen der Bäche nachfolgten und dabei nur selten in den festgefrorenen, tiefen Schnee einbrachen, gleichen Schritt zu halten. Ich wählte meinen Weg auf den Höhen, von welchen der Wind den meisten Schnee fort und in Niederungen geweht hatte; das Gehen wurde mir dort leichter und da ich die beiden Indianer nicht aus den Augen verlor, zugleich auch die von ihnen zu haltende Richtung weit hin an dem schmalen Holzstreifen zu erkennen vermochte, so kam es mir zu Statten, dass ich mitunter eine Ecke oder einen Winkel ihrer Strasse abschneiden konnte. Die scharfe Eiskruste, über welcher die Indianer leicht hinwegglitten, die aber unter meinen Füssen fortwährend einbrach, hatte bald meine Füsse durch die weichen Mokkasins hindurch zerschnitten und nur unter den grössten Schmerzen schleppte ich mich weiter. Wie sehr ich litt, mögen Sie, meine Herren, daraus entnehmen, dass ich mich bei Gelegenheit einer Waschbärenjagd ruhig auf den Boden warf und dem Treiben meiner Kameraden zusah, ohne selbst an einem Vergnügen Theil zu nehmen, welches mir stets die angenehmste Aufregung und Unterhaltung gewährt hatte. Wachbären oder Racoons, wie die Thiere hier zu Lande genannt werden, waren dort im Ueberfluss und das zarte Fleisch, besonders aber das wohlschmeckende Fett dieser Thiere veranlasste uns, mit allem Eifer denselben nachzustellen und sie aus den hohlen Bäumen, ihrem Lieblingsaufenthalt, herauszuräuchern. War ein Waschbär erst ausgespürt, so genügte eine kurze Zeit, um denselben in unsere Gewalt zu bringen. Mit einer kleinen Axt wurde eine Oeffnung in den hohlen Stamm geschlagen, die gross genug war, einen brennenden Grasbüschel durch und in den Stamm hinein gleiten zu lassen, dürre Blätter und Ranken wurden nachgeschoben und mussten den Brand nähren, der einen dicken, erstickenden Qualm inwendig hinaufschickte. War dann ein Wachbär oder irgend ein anderes Thier in dem Baume verborgen, so steckte es schon nach wenigen Minuten seine Schnauze aus einer oberen Oeffnung, um frische Luft zu schöpfen; der zunehmende Qualm liess aber nicht nach und das unglückliche Thier rettete sich auf den nächsten Zweig, wo es dann von einer Kugel oder von Pfeilen begrüsst wurde.
           Doch, wie ich schon bemerkte, konnte ich in den ersten Tagen an dergleichen Vergnügungen keinen Theil nehmen; ich musste jeden Schritt zu sparen suchen, um überhaupt nachzukommen. Blieb ich zurück oder verlor die leitenden Spuren, so musste ich rettungslos in der ersten Nacht der furchtbaren Kälte, gegen die ich mich durch Feuer allein nicht hätte schützen können, unterliegen. Gewartet oder meinetwegen zurückgegangen wären die Indianer nicht, denn Farfar wäre gewiss recht gern mein Erbe geworden, wogegen die andern ein solches Vertrauen in ihren Medizingesang setzten, dass ihnen mein Untergang unmöglich schien, wenn ihr Manitu es nicht anders bestimmt hatte, in welchem Falle sie seinem Willen unter keiner Bedingung würden entgegen gehandelt haben und mich lieber hätten verderben lassen.
           Wir hatten am ersten Tage 18 bis 20 Meilen zurückgelegt und ich war glücklich, als ich kurz vor Sonnenuntergang einem kleinen, dichten Gehölz vor mir Rauchsäulen entsteigen sah. Alle meine Leiden waren plötzlich vergessen und rüstig eilte ich Farfar nach, um mich so bald als möglich im schirmenden Zelte wieder erholen zu können. Die Zelte standen schon, als ich anlangte; tüchtige Scheiterhaufen wärmten die Luft in denselben und thauten zugleich die letzte Probe vom Schnee an den Stellen auf, wo grosse Bündel frischgerupften, dürren Grases gestreut werden sollten, um die Felle und Decken nicht en unmittelbare Berührung mit dem gefrorenen Boden kommen zu lassen. Matt und erschöpft lag ich endlich am Feuer; Wa-ki-ta-mo-nee's Töchter hatten die nassen Leggins und Mokkasins von meinen Füssen entfernt, um dieselben zu trocknen und mit stärkeren Sohlen zu versehen. Ich blieb aber gleichgültig bei aller Aufmerksamkeit und Freundlichkeit: ich war zu hungrig, um an etwas anderes als an Essen denken zu können, ich kaute mechanisch an einem Riemen gedörrten Fleisches und wendete meine Blicke nicht von Wo-nes-hee's Squaw, die einen Haufen Mais stampfte, der in einen wohlschmeckenden Brei verwandelt werden sollte. Wenn ich jetzt daran zurückdenke, wie ich an diesem Abende mit Heisshunger über den Berg der nicht übermässig reinlich zubereiteten Mehlspeise herfiel und dazu noch das Viertel eines Racoons verzehrte, so kommt es mir noch immer wie ein wilder Traum vor. Ich liess es mir aber schmecken, und damit noch nicht zufrieden, blieb ich den ganzen Abend damit beschäftigt, wie die übrige Gesellschaft zwischen zwei Steinen süsse Hickory-Nüsse aufzuschlagen, deren von den Weibern und Kindern eine Unmasse aus dem Schnee hervorgekratzt worden waren und die einen kleinen Winkel um Zelt einnahmen, so dass sie Jedem bequem zur Hand lagen.
           Selbst in einem indianischen Zelte kann man sich so recht behaglich und zufrieden fühlen; so ging es mir an diesem Abend, nachdem ich meinen Hunger gestillt und meine Glieder aufgewärmt hatte. Ich lag auf meiner Büffeldecke am helllodernden Feuer und hatte keine andern sorgen als höchstens die, welche mir von einer etwas härteren Nuss verursacht wurden; meine Füsse schmerzten nicht mehr und Wo-nes-hee trug dafür Sorge, das die Pfeife nie kalt wurde. Der alte Wo-nes-hee war überhaupt für mich eine Person von grösserem Interesse geworden, seit ich erfahren hatte, dass er ein Geisterseher sei, dem alle Dahingeschiedenen seines eigenen, so wie anderer Stämme des Nachts erschienen und Mittheilungen machten.
           Wenn der greise Krieger die Decke über sein Haupt zog und während mehrerer Stunden mit klagender Stimme die Worte: "Ottoe Winebag" sang, dann waren die Geister derjenigen um uns herum, deren Skalpe von ihren Feinden genommen waren und die deshalb in den glückseligen Jagdgefilden keine Ruhe finden konnten; sie waren in unserem Zelte und zeigten dem alten Wo-nes-hee ihre klaffenden Wunden, ihre blutigen Schädel und mahnten zur Rache, wobei sie aber für jeden andern unsichtbar blieben. Alle Uebrigen waren an die nächtlichen Gesänge des beschneiten Kriegers schon gewöhnt, doch machten sie auf mich nicht den angenehmsten Eindruck, obgleich Farfar mich von der grossen Medizin Wo-nes-hee's in Kenntniss gesetzt hatte. Diese Medizin schrumpfte indessen in meinen Augen bedeutend zusammen, als ich mich davon überzeugt hatte, dass eine merkwürdige Einbildungskraft dem braven, halbschlafenden Wo-nes-hee die ihn umgebenden Gegenstände in ganz veränderter Gestalt erscheinen liess. So weiss ich, dass er in einer Nacht ein Paar zum Trocknen aufgehangener Leggins für zwei Pferde ansah, die er in seiner Jugend hätte stehlen können, jedoch zu nehmen versäumt hatte, und dass er sich jetzt singend die bittersten Vorwürfe über das Versehen machte. Ein anderes Mal wurde mir am frühen Morgen mitgetheilt, dass während der ganzen Nacht ein skalpirter Missouri-Häuptling auf mir gesessen und vergebens seinen blutigen Kopf am Feuer zu trocknen versucht habe. Ich erwiederte, dass ich den Druck wohl gefühlt und ebenso wohl wisse, welcher von unsern Hunden auf mir gelegen habe. Doch Wo-nes-hee liess sich nicht irre machen; nach seiner Meinung konnten nicht alle Menschen im Besitz derselben Medizin sein, und was ich für einen Hund gehalten, konnte nur der Missouri-Häuptling gewesen sein.
           Als ich am nächsten Morgen erwachte, war ich fast unfähig, auf meinen Füssen zu stehen und wünschte sehnlichst einen Tag zu rasten. Um meinen Zweck zu erreichen, erklärte ich, dass ich, am ganzen Körper krank, durchaus unfähig zum Reisen sei, und verlangte, es solle Ruhetag gehalten werden. Wäre ich mehr an die indianischen Schuhe gewöhnt gewesen, so hätten meine Kräfte schon wieder so weit gereicht wie die einer Rothhaut, allein mit Wunden an den Füssen glaubte ich am zweiten Tage unserer Reise das neue Nachtlager nicht erreichen zu können. Mein Entschluss wurde also dem Doctor Wa-ki-ta-mo-nee mitgetheilt, der es denn auch sogleich übernahm, mich sofort von Grund aus zu kuriren. Nun merken Sie wohl auf, lieber Doctor," wendete der Erzähler sich an seinen Freund, "damit Sie etwas lernen, was Sie später bei unsern eigenen Fusskranken vielleicht in Anwendung bringen können. Wa-ki-ta-mo-nee besuchte mich auf meinem Lager und zwar mit der gewichtigen Miene eines Studenten, der eben sein Doctorexamen bestanden hat. Er fasste nicht nach meinem Puls, sondern fing an, auf eine fürchterliche Weise meinen Magen zu kneten; seiner Meinung nach war ein böser Geist in meinen Körper gefahren, der nur einer kleinen Aufforderung bedürfe, um seinen jetzigen Aufenthaltsort sogleich wieder zu verlassen. Mein Lachen über diese komische Ansicht bestärkte ihn in seinem Glauben, und ohne länger zu säumen, ging er sogleich an die Arbeit. Mit einer indianischen Trommel und einem tüchtigen Schlägel bewaffnet, setzte er sich zu mit auf's Lager und zwar so, dass die Trommel recht nahe an meine Ohren zu stehen kam, und dann fing er an, die über den Klotz gespannte Haut so fürchterlich zu bearbeiten, dass mir beinahe Hören und Sehen verging. Er begann mit gellender Stimme zu singen, von dem tiefsten Bass bis hinauf zu den höchsten Cadenzen, der Schweiss rieselte seinen bemalten Wangen hinunter und seine Augen funkelten in wilder Wuth. Ich hoffte den aufgeregten Indianer zu ermüden und in mein Unglück ergeben, fast betäubt von der gerässlichen Musik, blieb ich regungslos und versuchte einige seiner Worte zu erhaschen; doch vermochte ich nur das immerwährende Hau hau und den Ruf Ra-van-ga tan-ga zu unterscheiden, was so viel heisst wie g r o s s e r M o s q u i t o, eine Benennung, welche mir von meinen Ottoe-Freunden beigelegt worden war, weil ihnen die Aussprache meines Namens zu viel Schwierigkeit verursachte. An zwei Stunden hatte ich auf dieser Folter gelegen, als ich die Unmöglichkeit einsah, meines besorgten Arztes Geduld zu erschöpfen, zugleich aber auch wahrnahm, dass meine eigene schon längst ihr Ende genommen. Ich machte Anstalt mich vom lager zu erheben und zu entfernen, doch kaum bemerkte Wa-ki-ta-mo-nee, dass ich mich rührte, als er seinen Gesang in lautes, grässliches Heulen verwandelte und auf seine Trommel einhieb, als wolle er dieselbe in Stücke schlagen. Seiner Meinung nach hatte der halsstarrige böse Geist endlich dem Einfluss der grossen Medizin nachgegeben und es bedurfte nur noch dieses letzten kräftigen Angriffs, um ihn auf immer zu verscheuchen. Freilich war er verscheucht, denn ich kroch in's Freie mit dem festen Willen, lieber meinen Pfad nach dem Missouri durch eine Blutspur zu bezeichnen, als noch länger solch rasendem Getöse und Lärmen in nächster Nähe ausgesetzt zu sein. Wa-ki-ta-mo-nee trocknete sich indessen den Schweiss von der Stirne und erklärte mit triumphirender Miene seiner Umgebung, dass seine Medizin so ausgezeichnet sei, dass nichts derselben zu widerstehen vermöchte. Er gab alsbald das Zeichen zum Aufbruch. Die Medizin war wirklich nicht so schlecht; meine Füsse gewöhnten sich an die Mokkasins, die Wunden heilten während des Laufens und bald war ich wo weit hergestellt, dass ich wie eine vollblütige Rothhaut dem Elkhirsch und dem Bären auf dem scharfen Schnee nachspürte. Unsere Reise ging nun glücklich von Statten, bald brachten wir einen Hirsch, bald eine wilde Katze oder einen schwarzen Bären in's Lager und erfreuten uns auf diese Weise einer Art von Luxus; wir erreichten allabendlich ein kleines Gehölz und Wasser und es blieb uns also nichts, gar nichts zu wünschen übrig: wir besassen das unter solchen Verhältnissen Wünschenswertheste.
           Die erste Unterbrechung erlitt unsere Reise durch einen Regentag, der nicht nur unsere Strasse furchtbar glatt machte und verdarb, sondern auch die Bäche in reissende Ströme umwandelte, so dass wir genöthigt waren, am waldigen Ufer eines solchen Wassers still zu liegen, um eine Aenderung des Wetters abzuwarten. Wir litten indessen keine Noth und die Langeweile vertrieben wir uns durch Aufknacken von Nüssen, die durch das eingetretene, milde Wetter in grossen Massen blossgewaschen waren. Dem Regenwetter folgte klarer Frost und wir zogen weiter. Das Eis auf den Gewässern, welche unsere Strasse durchschnitten, war nicht stark genug, um uns und unsere Pferde zu tragen; der jedesmalige Uebergang musste daher auf eine Weise bewerkstelligt werden, die für Manschen und Thiere gewissenlos genannt werden konnte; wir kamen indessen hinüber, und das genügte uns. Uebrigens habe ich mich in dieser widerwärtigen Zeit davon überzeugt, dass eine indianische Squaw mit Recht zu den besten Arbeitern der Welt gerechnet werden kann, so lange sie nur allein die Sklavin ihres Gatten ist und nur für sich und die Ihrigen zu arbeiten braucht.
           Um bei solchen Gelegenheiten also das jenseitige Ufer zu gewinnen, wurde der Anfang damit gemacht, das wir die Thiere ihres Gepäcks entledigten, dem stärksten Pferde eine lederne Leine oder Lasso um den Unterkiefer schnürten und an seinen Schwanz ein zweites Pferd befestigten, welchem die übrigen dann auf dieselbe Weise zu folgen gezwungen wurden. Waren diese Vorkehrungen getroffen, so watete die Hälfte der Männer, das Eis vor sich zerbrechend, durch den Strom und nahm das eine Ende der zusammengeknüpften Leine mit hinüber. Ich war schon etwas an Kälte gewöhnt, kann Ihnen aber die Versicherung geben, dass man sich gar keinen Begriff von der Empfindung machen kann, sobald man dem eisigen Bade entsteigt und augenblicklich die nasse Lederkleidung steif gefriert; wie ein Messer wühlt die Kälte in der Haut und trostlos sieht man die Unmöglichkeit ein, sich zu erwärmen. Aus Verzweiflung greift man dann gern nach dem Lasso, an dessen anderem Ende auf dem jenseitigen Ufer in langer Reihe die Pferde gefesselt harren, und zieht mit allen nur zu Gebote stehenden Kräften, während die zurückgebliebenen Männer, Weiber und Kinder durch Schläge und Stösse die Thiere in die Fluthen treiben, vor denen sie zitternd zurückbeben. Sind sie erst im Wasser, so werden sie leicht nach dem andern Ufer hinübergelenkt und gezogen. Das Gepäck wird auf Eisschollen nachgeflösst, schnell wieder auf die zitternden Thiere geladen und weiter geht es im Trage über die blendende Schneefläche, um den stockenden Kreislauf des Blutes durch die rasche Bewegung wieder herzustellen.
           Doch auch diese Leiden nahmen ihr Ende, scharfer Frost baute uns sichere Brücken, und starker Schneefall, der uns dicht vor einer rettenden Schlucht beinahe tödtete und begrub, verschaffte uns eine bessere Strasse, so dass wir uns rasch der Mündung des Nebrasca und dem daselbst gelegenen Dorfe der Ottoes näherten. Unsere Jagden fielen fast immer glücklich aus und ich glaube mit Recht sagen zu können, dass ich nie eine interessantere Zeit verlebt hatte, als gerade auf diesem Theile der Reise. Es ist wahr, ich hatte fast fortwährend mit Strapazen und Entbehrungen zu kämpfen, doch wie gern vergisst der Mensch dergleichen, wenn er mit jedem Augenblicke mehr fühlt, wie wohlthätig Gottes schöne, freie Natur auf den Körper und den Geist einwirkt; mit Stolz blickte ich auf meine zerrissenen Mokkasins und vernarbten Füsse und lachte des eisigen Nordwindes, der zwischen den Falten meiner Büffelhaut meine blosse Brust suchte.
           Ich war glücklich, überschwenglich froh, weil die Träume meiner Jugendzeit, hervorgerufen durch Cooper und Washington Irving, verwirklicht worden waren, und wenn ich dem mächtigen Riesenhirsch den Gnadenstoss gab oder dem Bären mit meiner Kugel den Schädel zerschmettert, dann war es mir in der Begeisterung des Augenblickes, als möchte ich mit keinem Menschen auf Gottes Erdboden tauschen; und wenn die rothhäutigen Krieger mir die Pfeife reichten und zuriefen: Ra-van-ga tan-ga, Ka-hi-ga tan-ga! [1] dann war ich über alle Massen für meine Entbehrungen bezahlt.
           Vier Wochen waren wir unterwegs, als Farfar mir mittheilte, dass wir an diesem Tage den Missouri erreichen würden, auf dessen östlichem Ufer weisse Pelztauscher kleine Ansiedelungen gegründet hatten. Er machte zugleich den Vorschlag, dass er selbst vorauseilen wolle, um Leute über den Fluss zu holen, die mir behülflich sein sollten, gleich bei unserer Ankunft meine Uebersiedelung von den Ottoes zu den Weissen zu bewerkstelligen. Farfar handelte unserer Verabredung gemäss und war schon in aller Frühe verschwunden, ich folgte mit den Uebrigen etwas später nach und gegen Mittag näherten wir uns dem Waldstreifen, der den Lauf des Missouri bezeichnete. Ehe wir hinab in das Thal zogen, kamen wir an dem Begräbnissplatze der Ottoes und bald darauf an ihrem Dorfe vorbei. Ersterer zeigte eine Anzahl von Hügeln, die von rohen Palisaden eingeschlossen und mit Stäben geschmückt waren, von denen bunte Zeugstreifen und Federn herabflatterten. Das nur wenige hundert Schritte weiter entfernte Dorf bestand aus ungefähr sechszig Hütten verschiedener Bauart; einige, von Erde aufgeführt, glichen grossen Backöfen oder Heuschobern, während andere, in Form kleiner Häuser, von dicker Eichenrinde zusammengefügt waren. Die Wohnungen standen grösstentheils leer, indem die Bewohner ihre Zelte auf den beiden Winkeln, die vom Nebrasca und Missouri gebildet werden, aufgeschlagen hatten; sie waren daselbst in de Niederung mit ihren Thieren mehr gegen die heftigen Stürme geschützt und fetteres Gras war in den Bottom-Ländereien unter dem bergenden Schnee in Fülle vorhanden.
           Wa-ki-ta-mo-nee mit seinen Hausangehörigen blieb im obern Dorfe, während Wo-nes-hee mit den Seinigen hinab in die Niederung zog, und kurz vor Abend stand ich auf dem Eise des Missouri und machte die Bekanntschaft eines Mr. Marten, der mich freundlich zu sich in seine Behausung auf dem jenseitigen Ufer des Flusses einlud. Ich nahm einen vorläufigen Abschied von meinen Ottoe-Freunden und bezeichnete ihnen das kleine Blockhaus, in welchem ich vorläufig wohnen würde und wo ich sie Alle wiederzusehen wünschte. Meine Sachen wurden in den kleinen Wagen geworfen, in demselben über das dicke Eis des Flusses geschoben und bald befand ich mich unter freundlichen, weissen Menschen, die mit einander wetteiferten, mich wieder mit Kleidungsstücken zu versehen, die der weissen Hautfarbe angemessener waren. Förmlich umgewandelt sass ich an diesem Abend am flackernden Kaminfeuer, ass gutes Brod zu einem Glase Whisky-Punsch und unterhielt meine Umgebung mit der Erzählung meiner Reisen und Abenteuer. Ich hatte die Genugthuung zu bemerken, dass selbst diese rauhen Ansiedler das fernen Westens Antheil an meinen Leiden und Freude über meine Rettung bezeugten. Ich blieb indessen nicht lange dort, sondern ging nach acht Tagen schon wieder zurück zu den Ottoes und von diesen weiter nördlich zum Stamme der Omaha's, mit denen ich noch vierzehn Wichen verlebte. Ich verschaffte mir während meines Aufenthaltes daselbst ziemlich genaue Kenntniss der dortigen Indianer, ihrer Sitten und Gebräuche, und ich glaube es wird Sie interessiren, wenn ich Ihnen zu gelegener Zeit weitere Mittheilungen über meine ferneren Erlebnisse an den Counsil Bluffs mache."

[ 1 ]
"Der grosse Mosquito, ein grosser Häuptling."



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