IRETEBA und KAIRUK

Zwei Mohave-Häuptlingen fühlte sich Möllhausen freundschaftlich verbunden. Ireteba und Kairuk läßt er in seinem vierten Roman DAS MORMONENMÄDCHEN, 1861, eine Hauptrolle spielen.
Anschließend folgt eine Textstelle aus DAS MORMONENMÄDCHEN, welche deutlich das Verhältnis von Balduin Möllhausen zu seinen Mohave-Freunden und seine Einstellung zu den Indianern allgemein beleuchtet:

... Wenn ich aber eingehender noch einmal auf Leute zurückkomme, in deren persönlichem Verkehr ich mich so lange bewegte, und welche mit zu Denjenigen auf dem amerikanischen Continent gehören, deren ich vorzugsweise gern und mit treuer Anhänglichkeit gedenke, so folge ich eben so wohl meiner eigenen Neigung, als ich eine heilige Pflicht gegen eben diese betreffenden Personen selbst erfülle. Ich meine Kairuk und Jreteba, die beiden braven Mohave-Indianer, mit welchen ich nicht nur bei einer frühern Gelegenheit die kalifornische Wüste zu Fuß durchwanderte, sondern die auch den Expeditionen, welchen ich mich angeschlossen hatte, jedesmal die wesentlichsten und unbezahlbarsten Dienste leisteten. Sie waren es nämlich, welche uns zum Theil selbst führten, zum Theil Führer stellten; sie waren es, die hauptsächlich ihre zahlreichen Stammesgenossen veranlaßten, durch Tausch von Lebensmitteln uns vor der bittersten Noth zu bewahren und unsern brieflichen Verkehr mit der Außenwelt auf Hunderte von Meilen langen Pfaden aufrecht zu erhalten, und sie waren es endlich, die den Frieden wieder herstellten und die Gemüther ihrer in dichten Haufen feindlich heranrückenden Krieger beruhigten, nachdem dieselben von den Spionen der Mormonen aufgewiegelt worden waren und schon mit dem Erschießen unserer Maulthiere, dem einzigen Mittel zu unserer Rettung, begonnen hatten. Während ich aber Alles aufzähle, was ich ihnen zu danken habe, treten die beiden stattlichen Krieger in meiner Erinnerung deutlicher hervor. Ich sehe im Geiste die riesenhaften, schön gebauten Gestalten mit ihren offenen, harmlosen Physiognomien, mit ihren langen, unglaublich starken Haaren und der wilden Malerei auf Brust und Armen; ich vernehme sogar ihr in tiefen Gurgeltönen hervorgebrachtes "Achotka" und ihr gedehntes "Hagh", durch welches sie ihre Verwunderung an den Tag legten über Alles, was ihnen an uns ungewöhnlich erschien. Der arme Jreteba! Er hat seine langen Haare, seinen Stolz, wieder einmal dicht an seinem Kopf abgeschnitten, und seine Waffen und seine ganze Habe verbrannt. Er trauert tief, und vielfach wendet er seine trüben Blicke auf den hervorragenden Gipfel des im oberen Colorado-Thal befindlichen "Berges der Todten", in welchen, nach seinen Begriffen, die Geister der Verstorbenen einziehen. Er trauert um seinen unzertrennlichen Freund und Gefährten, er trauert um Kairuk, den Häuptling, den Freund der Weißen, der durch die Weißen sein Leben verlor. - Ein Jahr mochte nach dem Friedensschluß zwischen den Vereinigten Staaten und den Mormonen verflossen sein, als ein großer Zug von Emigranten, aus dem Osten auf frisch gebrochenen Wegen herkommend, bei den Dörfern der Mohaves über den Colorado setzte, um einem verlockenden Ziel, den Goldminen Kaliforniens, zuzueilen. Beim Zusammentreffen der verschiedenen Menschenracen, von welchen der eine Theil gewohnt war, jede dunkler gefärbte Haut als jeglichen Rechtes entbehrend zu betrachten, während der andere glaubte, Herr und Gebieter auf dem ihm angestammten Grund und Boden zu sein, ereignete es sich, daß ernste Zwistigkeiten ausbrachen, in Folge deren mehrere Emigranten ihr Leben verloren. Auf die Nachricht von diesem Unglücksfalle sendete der Commandant von Fort Yuma eine militärische Expedition ab, um die Mohaves zu züchtigen. Die Mohaves aber rotteten sich in große Haufen zusammen und trafen Anstalt, ihre Dörfer gegen die Soldaten zu vertheidigen. Das Commando, zu schwach, um den Tausenden von wilden Kriegern die Stirn zu bieten, zog unverrichteter Sache ab, und eine stärkere Truppenmacht wurde abgeschickt, um den Urwilden, die einfältig genug waren, sich für freie Menschen zu halten, Achtung vor den Sternen und Streifen der Vereinigten Staaten einzuflößen. Es versprach ein blutiger Kampf zu werden, denn wenn die Expedition auch durch ihre Waffen ein entschiedenes Uebergewicht über die Colorado-Stämme besaß, so waren ihr diese wieder an Zahl wohl hundertfach überlegen, und daß es ihnen nicht an Muth gebrach, hatten sie ja schon bei früheren Gelegenheiten und im Kampf mit anderen feindlichen Stämmen hinlänglich bewiesen. Da trat Kairuk auf. Er wollte dem Blutvergießen auf alle Fälle vorbeugen, und seiner Beredtsamkeit gelang es, die Amerikaner günstig für seine Pläne zu stimmen. Er versprach nämlich, daß alle Weißen, die ihr Thal besuchen würden, unbelästigt bleiben sollten, und zugleich erbot er sich, mit acht der hervorragendsten Krieger die Amerikaner als Geißeln zu begleiten. Der Vorschlag wurde angenommen, und zwei Monate später, da saß er mit seinen Gefährten in Fort Yuma in einem engen Raume, von welchem aus sie nur durch ein vergittertes Fenster sich des dort fast beständig klaren Himmels erfreuen durften. Die Tage vergingen, die armen Gefangenen siechten dahin. Sie, deren Freiheit noch nie beschränkt gewesen, hatten ihre Kräfte überschätzt; sie wußten nicht, was es hieß: gefangen sein. Ihre athletischen Gestalten sanken zusammen, ihr Geist war gebrochen. Da erschien eines Tages der treue Jreteba auf dem Fort, um seine Freunde zu besuchen. Nach einer kurzen Verhandlung mit denselben wendete er sich an einen Officier des Postens, von welchem er wußte, daß er mit zu Denjenigen gehörte, die einst von dem guten Willen des Häuptlings Vortheil gezogen. Er bat um Kairuk's Freiheit; er berief sich auf die Dienste, welche derselbe, überhaupt alle Mohaves, den Weißen geleistet, aber vergebens. Der junge Officier zuckte wohl mitleidig die Achseln, versicherte aber, daß es nicht in seiner Macht liege, seinen Wünschen zu genügen. Schweren Herzens entfernte sich Jreteba; er theilte Kairuk den Erfolg seiner Bemühungen mit, und dann schlug er traurig den Weg nach seinem heimathlichen Thale ein. Es war dies gegen Abend, und Kairuk hatte also die ganze Nacht vor sich, um einen Entschluß zu fassen. Als am folgenden Morgen die Gefangenen hinausgelassen wurden, um sich unter der Aufsicht einer Schildwache auf dem Hofe des Forts eine Stunde zu ergehen, hielt Kairuk sich, scheinbar ohne alle Nebenabsichten, in der Nähe des Postens. Als sie sich dann der Stelle näherten, wo der Hof offen stand, sprang Kairuk auf den Soldaten zu, und ehe derselbe Zeit gewann, von seinen Waffen Gebrauch zu machen, hatte er ihn mit beiden Armen umschlungen, ihn mit unwiderstehlicher Gewalt an sich drückend. Auf seinen Zuruf sprangen seine acht Gefährten davon, er selbst aber hielt den Soldaten, ohne ihm weiter ein Leid zuzufügen, so lange fest, bis dessen herbeieilende Kameraden ihn mit ihren Bajonnetten durchbohrten und der Tod die Sehnen an seinen Armen erschlaffte. Seine Aufgabe war erfüllt; Diejenigen, welche sich auf seine Veranlassung freiwillig in die Gefangenschaft begeben hatten, waren durch ihn wieder in Freiheit gesetzt worden. Er selbst aber hatte ihre Freiheit mit seinem Leben bezahlt. So starb der brave, muthige Häuptling. Er war nur ein armer rothhäutiger Urwilder, aber in seiner Brust lebten die Keime, die bei sorgfältiger Pflege ihn auf eine hohe Stufe der Gesittung zu bringen vermocht hätten; Keime und Neigungen, die Jeden Lügen strafen, der, sei es aus Unwissenheit, oder aus Mangel an Scharfsinn, um die über die amerikanischen Eingeborenen in Umlauf gesetzten, märchenhaften Berichte von der Wahrheit unterscheiden zu können, frech zu behaupten wagt: daß alle eingeborenen Stämme auf dem nordamerikanischen Continent für die Civilisation unzugänglich seien. So starb Kairuk, der Freund der Weißen, so wird noch manches Mitglied der schönen Colorado-Indianer dahingeopfert werden, und Fluch auf Fluch gesellt sich zu der schweren Schuld, welche eine Regierung und ein großer Theil der Nation selbst lachend auf sich geladen haben, weil sie die Ureinwohner ihres großen Continents nicht besser zu zügeln, zu leiten und zu beschützen verstanden. ...


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