TAGEBUCH EINER REISE VOM MISSISSIPPI NACH DEN
KÜSTEN DER SÜDSEE. VON BALDUIN MÖLLHAUSEN.
EINGEFÜHRT VON ALEXANDER VON HUMBOLDT.-
LEIPZIG: HERMANN MENDELSOHN. 1858.
Einführung
von
ALEXANDER VON HUMBOLDT.
Die Verhältnisse gegenseitigen Wohlwollens und eine gewisse Gleichheit der Bestrebungen in dem Laufe ernster und wichtiger Unternehmungen haben, wie ich schon mehrmals geäussert, allein mich bewegen können, die innere Scheu und die Abneigung zu
überwinden, welche ich, vielleicht mit Unrecht , von je her vor den einleitenden Vorreden von fremder Hand hege. In der so langen Dauer eines bewegten Lebens habe ich diese Vorreden nur überaus selten, zweimal für deutsche und zweimal für französische, vielgelesene Werke, geschrieben. Es waren diese Werke der Zeitfolge nach: unseres grossen Geologen, Leopolds von
Buch, Reise nach dem Nordcap in der französischen Übersetzung; der englische Reisebericht
von Sir Robert Schomburk's gefahrvollem fünfjährigen Unternehmen, um die Küste der
Guyana bei Essequibo astronomisch mit dem östlichsten Punkte des Ober-Orinoco bei der
Mission Esmeralda zu verbinden, an den ich von Westen her gelangt war; die Original-Ausgabe
der sämmtlichen Werke meines unvergesslichen Freundes Francois Arago; endlich die
ostindische und tibetanische Reise des so früh dahingeschiedenen, liebenswürdigen Prinzen
Waldemar von Preussen.
Die Schrift, welche ich jetzt unaufgefordert, aus Achtung für die rastlose und
ausdauernde Thätigkeit des Verfassers in einer grossen Expedition, für die bescheidene
Einfachheit seines kräftigen, überaus ehrenwerthen Charakters und für ein ausgezeichnetes,
durch den Anblick der freien Natur fast allein ausgebildetes Kunsttalent, mit einem empfehlenden
Vorwort begleite, macht keine Ansprüche auf physikalische Wissenschaftlichkeit, ob sie gleich
über die äussere Bodengestalt und die geographischen Verhältnisse so wenig durchforschter
Gegenden viel Interessantes, Selbstbeobachtetes oder bisweilen den mitreisenden Fachgelehrten
Entlehntes, darbietet. Herr Möllhausen, früher angestellt als Topograph und Zeichner bei der
Sendung, welche unter dem Befehle des muthigen und einsichtsvollen Lieutenant Whipple zur
Bestimmung der südlichen Eisenbahn-Richtung nach den Küsten des Stillen Oceans von der
Regierung der Vereinigten Staaten veranstaltet wurde, veröffentlicht ein Tagebuch, in dem er,
gleichsam als Commentar zu seinen landschaftlichen Aufnahmen und historischen Skizzen,
empfangene lebensfrische Natureindrücke wiedergiebt. Überall, wo die Darstellung des
Reisenden das Resultat einer sicheren und gewissenhaften Anschauung der Gegenwart ist,
gewährt sie eben dadurch schon und besonders in dem, was die Zustände der Eingeborenen auf
den verschiedenen Stufen ihrer Uncultur betrifft, ein wichtiges, rein menschliches Interesse.
Die Nähe nordamerikanischer und europäischer Ansiedler gereicht den unabhängigen
Stämmen, wie eine traurige Erfahrung fast in allen Zonen lehrt, zum Verderben. Allmälig auf
engere Räume zusammengedrängt und, wo der nahe Contact Beute verheisst, an Verwilderung
zunehmend, reiben sie sich meistentheils in ungleichen Kämpfen auf. Wenn im frühesten Anfange
des Inca-Reiches von Peru, in den Cordilleren von Quito, auf der Hochebene von Neu-Granada
(dem alten Cundinamarca) und in dem mexicanischen Anahuac, südlich von dem 28sten
Parallelkreise, die alte indianische Bevölkerung sich erhalten, ja sogar an einigen Punkten
ansehnlich vermehrt hat, so ist die Ursache davon grösstentheils darin zu suchen, dass viele
Jahrhunderte lang vor der spanischen Conquista die Bevölkerung dort aus friedlichen
ackerbauenden Stämmen bestand. Alles was sich in Herrn Möllhausen's Reisebericht auf
Ethnographie und auf die physischen und sittlichen Verhältnisse der, selten kupferfarbigen,
häufiger mehr braunrothen, Ureinwohner zwischen dem Missouri und den Rocky Mountains,
zwischen dem Rio Colorado und dem Littoral der Südsee bezieht, ist auf zwiefache Weise
anziehend. Es berührt entweder allgemeine Betrachtungen über die bald fortschreitende, bald in
ihrem Fortschritt gehemmte Cultur: oder besondere, locale, mit historischen Erinnerungen
zusammenhängende Verhältnisse. Bei Verallgemeinerung der Ansicht reizen die manichfaltigen
Stufen unentwickelter Intelligenz in dem Urzustande der Horden, welche man so unbestimmt und
oft so unpassend Wilde (Indios bravos) nennt, die Einbildungskraft dazu an, aus der eng
begrenzten Räumlichkeit der Gegenwart zu einer geheimnisvollen Vergangenheit, zu der Zeit
aufzusteigen, wo ein grosser Theil des Menschengeschlechts, der jetzt sich einer hohen Blüthe
der Cultur, in Wissenschaft und bildender Kunst, erfreut, in eben solcher Rohheit der Sitte lebte.
Wie oft habe ich selbst die lebendigste Anregung zu diesen Betrachtungen erfahren auf einer
Flussschiffahrt von mehr als 380 deutschen Meilen in den Wildnissen des Orinoco, südlich von
den Cataracten von Atures, auf dem Atabapo, Cassiquiare und Rio Negro! Aber auch in den
Zuständen der Ungesittung erkennt man hier und da mit Erstaunen einzelne Spuren des
Erwachens selbstthätiger Geisteskraft; man erkennt sie in dem gleichzeitigen, den Verkehr
zwischen nahen Stämmen erleichternden Besitze mehrerer Sprachen; "in Ahnungen von einer
überirdischen, furcht- oder freudebringenden Zukunft; in traditionellen Sagen, die kühn bis zur
Entstehung des Menschen und seines Wohnsitzes aufsteigen."
Die Horden, welche zwischen Neu-Mexico und dem Rio Gila leben, ziehen aus örtlichen
Ursachen noch darum die Aufmerksamkeit auf sich, weil sie auf der Strasse der grossen
Völkerzüge zerstreut sind, die, von Norden gegen Süden gerichtet, vom sechsten bis zum
zwölften Jahrhundert unter den Namen der Tolteken, der Chichimeken, der Nahuatlaken und der
Azteken das südliche tropische Mexico durchwandert und theilweise bevölkert haben. Bauwerke
und Reste des Kunstfleisses dieser, zu einer Art höherer Cultur gelangten, Nationen sind übrig
geblieben. Man bezeichnet noch, durch alte Traditionen und historische Malereien geleitet, die
verschiedenen Stationen, d. h. Das Verweilen der Azteken am Rio Gila und an mehreren süd-süd-östlichen Punkten. Es sind dieselben in meinem mexicanischen Atlas angegeben; und die
1846 von Ingenieur-Lieutenant W.Albert und später von Möllhausen gesehene, vielstöckige
Bauart grosser Familienhäuser (Casas grandes), zu denen man durch, nächtlich eingezogene,
Leitern aufstieg, bietet noch jetzt Analogien der Construction bei einzelnen Stämmen.
Da die übrif gebliebenen , zum Theil gigantesken Sculpturen, wie die Unzahl religiöser
und historischer Malereien der pyramidenbauenden, der Jahrescyclen kundigen Tolteken und
Azteken sehr übereinstimmend menschliche Gestalten darstellen, deren physiognomischer
Charakter besonders in Hinsicht der Stirn und der ausserordentlich grossen, weit hervortretenden
Habichtsnasen von der Bildung der jetzt Mexico, Guatemala und Nicaragua in der Zahl vieler
Millionen bewohnenden, ackerbautreibenden Eingeborenen abweicht: so ist von grosser
ethnographischer Wichtigkeit die Lösung des, schon von dem geistreichen Catlin behandelten,
Problems, ob und wo unter den nördlichen Stämmen sich Gestalten und Gesichtsbildungen finden
lassen, die nicht blos als Individuen, sondern racenweise mit den älteren monumentalen
übereinstimmen. Sollten nicht bei der amerikanischen nord-südlichen Völkerwanderung, wie bei
der asiatischen ost-westlichen, zu welcher der Anfall der Hiungnu auf die blonden Yueti und
Usün den frühesten Anstoß gab, nördlich vom Gila, wie dort im Caucasus (auf dem pontischen
Isthmus), einzelne Stämmezurückgeblieben sein? Alles, was in dem Neuen Continent mit den
gewagten Vermuthungen über die Quelle eines gewissen Grades erlangter Civilisation, was mit
den Ursitzen der wandernden Völker (Huehuetlapallan, Aztlan und Quivira) zusammenhängt,
fällt bisher wie in den Abgrund der historischen Mythen. Unglaube an eine befriedigende Lösung
des Problems bei dem bisherigen noch so bedauernswürdigen Mangel an Materialien, darf aber
nicht dem fortgesetzten Bestreben nach muthiger Forschung Schranken setzen. Die Frage nach
solchen Überbleibseln der wandernden Völker im Norden findet in Catlin's auf dem Berliner
Museum aufbewahrten Ölbildern wie in Möllhausen's Zeichnungen mannichfaltige
Befriedigung. Auch hat sie eine werthvolle Arbeit auf dem Felde der Sprachen veranlasst, welche
die Spuren des Azteken-Idioms (nahuatl) auf der Westseite des nördlichen Amerika's verfolgt.
Professor Buschmann, mein talentvoller, vieljähriger Freund, hat in einem von ihm
unternommenen Werke einige vor einem halben Jahrhundert von mir geäusserte Überzeugungen
bekräftigt und in Arbeiten, die er gemeinschaftlich einst mit meinem Bruder, Wilhelm von
Humboldt, unternommen, seine tiefen Kenntnisse der alten Azteken-Sprache historisch nutzbar
gemacht.
Neben dem ethnologischen und historischen Interesse, das sich an den so wenig
bekannten Erdraum knüpft, dessen genauere Beschreibung der Gegenstand der nachfolgenden
Blätter ist, tritt in gleichem Maasse anregend hervor das politische Interesse des allgemeinen
Weltverkehrs wie der Culturverhältnisse des Bodens, welche durch jenen Verkehr mittelbar
begünstigt werden. Die reichen atlantischen Staaten, die am Ohio und Mississippi, fühlen sich
durch den Lauf der Gegebenheiten gedrängt, die geeignetsten Wege nach den neu errungenen
und in den mächtigen nordamerikanischen Staatenbund aufgenommenen Küstenländern des
Stillen Meeres zu finden. Diese Küstenländer sind reicher als das Europa gegenüberliegende
östliche Littoral, mit sicheren und schönen Häfen, mit Schiffsbauholz und dem gesuchtesten alle
Mineralproducte versehen. Die neue Heimath, lange von Mönchen, streng aber friedlich, regiert,
und dem einträglichen Fischotter-Fange geöffnet, ist durch ihre natürlichen Verhältnisse und in
den Händen einer rastlos thätigen, unternehmenden, intelligenten Bevölkerung berufen, eine
wichtige Rolle in dem chinesischen, japanischen und langsam aufkeimenden ost-sibirischen
Handel zu spielen.
Wenn zu der Zeit der zweiten Entdeckung von Amerika durch Christoph Columbus
Ackerbau, bürgerliche und staatliche Einrichtungen, weite Verbreitung derselben Form des
religiösen Cultus: wenn Verkehr, durch Kunststrassen über hohe Gebirge befördert:
monumentale Sculpturen, wie große Bauwerke (Tempel, Treppen-Pyramiden, Wohnungen der
Fürsten und Befestigungsmittel) sich vom mexicanischen Anahuac bis Chili allein Asien
gegenüber, im westlichen Theile des Neuen Continents fanden: so war der vielfach grössere,
verhältnismässig flächere, von Flussnetzen durchzogene, östliche Theil ein Sitz der Wildheit, von
Volksstämmen bewohnt, welche vereinzelt, selten in Conföderationen zu kriegerischen
gemeinsamen Unternehmungen verbunden, sich fast allein vom Jagdleben und Fischfange
ernährten. Dieser sonderbare alte, nach den Weltgegenden zu bezeichnende Contrast der Cultur
und Uncultur begann aufgehoben zu werden, seitdem in zwei, durch ein halbes Jahrtausend
getrennten Epochen, von dem nördlichsten und südlichsten Theile Europa's aus, das große
oceanische Thal überschritten wurde, welches zwei Continente scheidet. Die erste,
scandinavisch-isländische Ansiedelung, veranlasst von Leif, dem Sohne Eric's des Roten, war
schwach, von vorübergehender Art und sittlich fruchtlos gewesen, ohne alle Einwirkung auf den
Zustand ser Eingeborenen, obgleich die amerikanischen Küsten in der kalten und gemäßigten
Zone vom drei-und-siebzigsten Grade (von der kleinen Gruppe der west-grönländischen
Weiber-Inseln) bis zu 411/2o der Breite von kühnen christlichen Seefahrern besucht wurden.
Erst zu der Zeit der zweiten Entdeckung von Amerika, durch Christoph Columbus, der
Entdeckung innerhalb der tropischen Zone, hat sich recht eigentlicheine Erdhälfte der anderen
zu offenbaren angefangen. Des Astronomen und ArztesToscanelli alte Verheissung: buscar el
levantepor el poniente, den goldreichen Orient durch eine Schifffahrt nach Westen
aufzufinden, wurde erfüllt. Steigt man in der Erinnerung zu den Weltaltern hinauf, in welchen
den Culturvölkern, die das Becken des Mittelmeeres umwohnten, durch die Gründung von
Tartessus und die wichtige Irrfahrt des Coläus von Samos die gadeirische Pforte, die
mittelländische Meerenge, geöffnet wurde: so erkennt man in derselben ost-westlichen Richtung
ein unausgesetztes Streben atlantischer Seefahrer nach der jenseitigen Ferne. Die
weltgeschichtlichen Begebenheiten, in denen sich ein grosser Theil der Menschheit von einer
gewissen Gleichmässigkeit der Tendenz belebt zeigt, bereiten Grosses langsam und allmählich,
aber umso sicherer, vor; sie entwickeln sich aus einander nach ewigen Gesetzen ; ganz wie die,
welche walten in der organischen Natur.
Obgleich die Südsee erst sieben Jahre nach dem Tode des Christoph Columbus von dem
Gipfel der Sierra de Quarequa auf dem Isthmus von Panama durch Vasco Nunez de Balbao
gesehen, und wenige Tage darauf in einem Canot von Alonzo Martin de Don Benito beschifft
wurde, so hatte doch schon Columbus im Jahre 1502, also eilf Jahre vor Balbao, auf der vierten
Reise, in welcher er am meisten die Thatkraft seines Geistes erwiesen, im Puerto de Retrete an
der Ostküste Veragua's eine genaue Kenntnis von der Existenz der Südsee erhalten. Er
bezeichnet in der Carta rarissima vom 7.Julius 1503, in dem Briefe, in welchem er so poetisch
seinen grossartigen Wundertraum beschreibt, auf das Deutlichste die zwei einander
gegenüberliegenden Meere oder, wie der Sohn in der Lebensbeschreibung des Vaters sagt, die
"gesuchte Verengung (estrecho) des Festlandes". Dieser ihm durch die Eingeborenen
offenbarte Ocean sollte nach seiner Meinung ihn führen nach dem Gold-Chersones des
Ptolemäus, nach dem ost-asiatischen Gewürzlande; dahin, wo einst in grosser Zahl, durch
Chronometer geleitet, nordamerikanische, in San Francisco gebaute Schiffe segeln werden. In
einer Zeit, wo Entwürfe zu riesenhaftem Bau sowohl von Eisenbahnen (die geradlinige
Entfernung der atlantischen Küste zu der Küste von San Francisco in Californien ist ohngefähr
550 deutsche Meilen), als von oceanischen Canälen: durch den Naipi und Cupica, durch den
Atrato und Rio Truando, durch den Huasacualco und den Chimalapa, durch den Rio de San Juan
und den See Nicaragua, auf das Lebhafteste den Menschengeist beschäftigen, gedenkt man gern
an den ersten kleinen Anfang der Kenntnis vom Stillen Meere; an das, was Columbus auf seinem
Todtenbette davon wissen konnte. Der große , schon von seinen Zeitgenossen, wie ich an einem
anderen Orte erwiesen, halb vergessene Mann, starb in Valladolid den 20. Mai 1506 in dem
festen Glauben, welchen auch noch Amerigo Vespucci bis zu seinem Tode in Sevilla (am 22.
Februar 1522) theilte, nur Küsten des Continents von Asien und keines neuen Welttheiles
entdeckt zu haben. Columbus hielt das Meer, welches den westlichen Theil von Veragua bespült,
für den Gold-Chersones so nahe, dass er das Lagenverhältniss der Provinz Ciguare in West-Veragua zum Puerto Retrete (Puerto Escrivanos) verglich mit dem von "Venedig zu Pisa, oder
von Tortosa an der Mündung des Ebro Fuenterabia an der Bidassoa in Biscaya"; auch rechnete
er von Ciguare bis zum Ganges (Gangues) nur 9 Tagesreisen. Sehr beachtenswerth scheint mir
dazu noch der Umstand, dass heutiges Tages der Goldreichthum (las minas de la Aurea),
welchen die Carta rarissima des Columbus in den östlichen Theil Asiens setzt, in Californien, an
der Westküste des Neuen Continents, zu finden ist.
Eine Übersichtliche Schilderung dieser Contraste zwischen der Jetzt- und Vorzeit, wie
des grossen Gewinnes, welche verständige Durchforschungen der Terra incognita des fernen
Westens in dem Gebiete der Vereinigten Staaten der allgemeinen Länderkenntnis noch für viele
Jahrzehente werden darbieten können, ist der Hauptzweck dieses Vorwortes gewesen. Es bleibt
mir am Schlusse desselben noch die angenehme Pflicht zu erfüllen übrig, den Leser daran zu
erinnern, daß der Verfasser des nachfolgenden Reiseberichtes vom Mississippi und Arkansas zu
den Ufern des Stillen Meeres den Vortheil gehabt hat, durch eine frühere Reise nach dem
Nebraska-Flusse an das Leben unter Indianer-Stämmen lange gewöhnt zu sein. Nachdem er, der
Sohn eines preussischen Artillerie-Officiers, den Militairdienst im Vaterlande mit belobenden
Zeugnissen seiner Oberen verlassen, ging er, kaum 24 Jahre alt, nach dem westlichen Theile der
Vereinigten Staaten: unabhängig, allein; unwiderstehlich getrieben (wie es bei strebsamen und
kräftigen Gemüthern vorzugsweise der Fall ist) von einem unbestimmten Hang nach der Ferne,
nach dem Anblick einer wilden, freien Natur. Nahe bei den Ufern des Mississippi erhielt er
Kunde von dem schönen, vielversprechenden naturhistorischen Unternehmen, das Sr. K. H. der
Herzog Paul Wilhelm von Württemberg nach dem Felsengebirge (den Rocky Mountains) eben
vorbereitete. Der junge Mann bat um die Erlaubniss, sich diesem Unternehmen anschliessen zu
dürfen und erhielt sie auf eine edle, wohlwollende Weise. Die Expedition gelangte ohne Unfall
bis in die Gegend des Forts Laramie am Platte-Fluss, als große Unwegsamkeit des Bodens, ein
furchtbarer, allgemeines Augenübel erregender Schneefall, wiederholte Raubanfälle der
Eingeborenen und das Absterben der so nothwendigen Pferde den Herzog für jetzt zum
Aufgeben des Unternehmens nöthigten. Von diesem getrennt, aber sich anschliessend
vorbeiziehenden Ottoe-Indianern, die ihn mit einem Pferde versahen, wandte sich Herr
Möllhausen nun nördlicher nach Bellevue, dermalen dem Sitze einer Agentur und Niederlage
des Pelzhandels. Nach einem dreimonatlichen Aufenthalte und thätigen Jagdleben bei den
Omahas schiffte er den Mississippi herab und hatte die Freude, wieder mit dem Herzog Paul
Wilhelm von Württemberg zusammenzutreffen und in mehrfachen Excursionen an der
Vermehrung der wichtigen zoologischen Sammlungen dieses Fürsten mit zu arbeiten. Im J. 1852
schiffte er sich in New-Orleans nach Europa ein, von dem verdienstvollen preussischen Consul,
Herrn Angelrodt, in St.Louis an der Mündung des Missouri, beauftragt, während der Reise für
die glückliche Überkunft einer Zahl interessanter, dem Berliner zoologischen Garten
bestimmter Thiere einige Sorge zu tragen.
Der muthigste Entschluss, mit vermehrten Kenntnissen und vermehrter künstlerischer
Ausbildung, wenn gleich mit sehr beschränkten Mitteln, eine zweite Excursion nach dem Westen
der nordamerikanischen Freistaaten zu wagen, stand bei Herrn Möllhausen fest. Meinem innigen
und vieljährigen Freunde, dem Geh. Medicinalrath und Professor Lichtenstein, verdanke ich die
Bekanntschaft des jungen Reisenden. Wie sollte ich, vielleicht der älteste unter den Reisenden
dieses Jahrhunderts, der ich mich in frühester Jugend von ähnlicher, unbestimmter
Wanderungslust gedrängt fühlte, nicht Interesse für den mir so warm Empfohlenen gewonnen
haben? Die Huld des hochherzigen, jedem aufkeimenden Talente gern hülfreichen Monarchen
gestattete es, dass Balduin Möllhausen seine sehr ausgezeichneten, physiognomisch wahren
Reiseskizzen aus dem Leben der Indianer Ihm persönlich vorlegen durfte. Bei dem
wachsenden Wohlwollen, dessen meine Arbeiten und Bestrebungen sich in den Vereinigten
Staaten von Nordamerika zu erfreuen haben, bei den edlen Aufopferungen, welche so viele der
einzelnen Regierungen dort zur Beförderung des freien geistigen Fortschrittes, besonders in allen
Theilen des astronomischen, geographischen und naturhistorischen Wissens machen, durfte ich
hoffen, dass Empfehlungen von mir, vereint mit denen eines anderen mir theuren Freundes, des
preussischen Gesandten, Herrn von Gerolt, dem Zurückkehrenden bei den obersten Behörden
und bei der edeln Smithonian Institution von erspriesslichem Nutzen sein würde. Unsere
Hoffnungen sind bald erfüllt worden. Herr Möllhausen hat selbst im Eingange zu dem
Reiseberichte seine Anstellung als Topograph und Zeichner bei der, auch wissenschaftlich wohl
ausgerüsteten, Expedition des Lieutenant Whipple erzählt.
Trotz der Mühseligkeiten, die von einem, bloss auf dem Landwege eilf Monate
dauernden, ernsten Unternehmen unzertrennlich sind, hat der Reisende doch während derselben
mehrmals Abhandlungen an die geographische Gesellschaft zu Berlin gesandt, unter denen zwei
von allgemeinem Interesse waren. Die eine Abhandlung betraf die Sitten und die Verschiedenheit
des Körperbaues der am Grossen Colorado und im nahen Gebirge lebenden, wenig bekannten
Indianerstämme: der Mohawes, Cutchanas und Cosninos; die andere den sogenannten
versteinerten Urwald zwischen der "alten Stadt" (Pueblo de Zuni) und dem Kleinen Colorado.
Dieses merkwürdige Phänomen, in welchem Coniferen mit einigen baumartigen Farren vereinigt
sind, ist auch von dem Geologen der Expedition, Herrn Jules, jetzt Professor an der föderalen
polytechnischen Schule zu Zürich, in einer so überaus lehrreichen "allgemeinen Orographie von
Canada und den Vereinigten nordamerikanischen Staaten" beschrieben worden. Der
nachfolgende Reisebericht hat durch wissenschaftliche Auszüge aus den gelehrten, bereits
gedruckten Arbeiten des Herrn Marcou bereichert werden können. Der Zweck der grossen
Expedition unter den befehlen des Lieut. Whipple ward glücklich erreicht am 23. März 1854
durch die Ankunft an der Küste der Südsee bei dem Hafen San Pedro, nördlich von dem
californischen Missionsdorfe San Diego. Die schnelle Rückreise ging von San Francisco über den
Isthmus von Panama nach New-York, so dass Herr Möllhausen nach einer Abwesenheit von
einem Jahre und fünf Monaten mit seinen Sammlungen aus dem Far West und einer grossen Zahl
interessanter, im Angesicht der Naturscenen sinnig aufgefasster, malerischer Entwürfe, in Berlin
ankam. Diese Studien hatten sich wieder des aufmunterndsten Beifalles und der huldreichen
Anerkennung des Königs zu erfreuen. Sr. Majestät hatten die Gnade, zu beschliessen, den
jungen Reisenden in Ihre Dienste zu nehmen und als Custos der Bibliotheken in den
Schlössern von Potsdam und Umgebung anzustellen. Seine lebensfrischen Schilderungen der
wilden Natur in der Mannichfaltigkeit ihrer Gestaltungen, des Zustandes der Uncultur
eingeborener Stämme und der Sitten der Thierarten, erinnern daran, wie in empfänglichen
Gemüthern tiefe Gefühle die Sprache veredeln. Was Balduin Möllhausen in einem so
vielbewegten Leben, unter mannigfaltigen Entbehrungen, doch Ersatz gewährenden
Naturfreuden erfahren, ist für seine geistige Ausbildung nicht verloren gegangen; denn, wie
Schiller in so schöner Einfachkeit sagt: "der Mensch wächst mit seinen Zwecken".
Berlin, im Monat März 1857.
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