Susanna und die Entenjagd

Der Text erschien unter der Bezeichnung:
Erzählung aus meinem Jagdleben in Illinois.
in
Reisen in die Felsengebirge Nord-Amerikas bis zum Hoch-Plateau von Neu-Mexico. Erster Band.- Leipzig: Otto Purfürst (und) Hermann Costenoble. o.J. (1861).

Dreizehntes Kapitel, Seite 262

Ehe ich den Herzog Paul von Württemberg, auf seiner kühnen Forschungsreise nach den Rocky mountains begleitete, und ehe ich dann das gefährliche Handwerk eines Pelzjägers ergriff, lebte ich als Wildschütz in Illinois, in dem paradiesischen Landstrich, der sich östlich von St. Louis, über Belleville, Massacoutah und weit über den Kaskaskia-Fluß hinaus erstreckt. Es waren nur Monate, die ich auf diese Weise verbrachte, doch knüpfen sich so reiche Erinnerungen an diese Zeit, daß ich mich oft gern in dieselben versenke, über einzelne Erlebnisse lächele, in anderen dagegen eine ernste und weise Fügung erkenne. Wenn ich jetzt hier, wo wir von undurchdringlichen Wüsten umgeben sind, mir in Gedanken die lieblichen Prairien ausmale, die mit hohen Baumgruppen anmuthig geschmückt, und von klaren Flüßchen und Bächen vielfach durchschnitten, dem Menschen Alles bieten, was in den Grenzen eines zufriedenen Gemüthes liegt, dann erscheinen mir dieselben doppelt schön, und es regt sich auch wohl der Wunsch: diese Wildniß noch einmal mit solchen Gegenden vertauschen zu können. In der Nähe des Kaskaskia-Flusses, dessen Name des Letzte ist, was von einem einst mächtigen Indianerstamm übrig blieb, dehnte ich also meine Jagdzüge nach allen Richtungen hin aus. Wild war reichlich vorhanden. Es wurde mir daher nicht schwer, selbst bei geringer Mühe mehr zu erwerben, als zu meinem Unterhalte nothwendig war, und da ich allein und unabhängig dastand, also auch Niemandem über mein Thun und Lassen Rechenschaft abzulegen brauchte, so entsprach diese Lebensweise vollkommen meinen Neigungen und meiner Lage. Auch wenn ich auf der Jagd nicht glücklich war, fand ich doch stets reichen Genuß auf meinen Streifereien, einen Genuß, den mir die, gleichsam im Festkleide prangende Natur gewährte, und der mich nie fühlen ließ, daß sich Niemand um mich gekümmert haben würde, wenn ich irgendwo mein Ende gefunden hätte; denn ich nannte ja außer meiner Büchse nur sehr wenig mein.
           Es war in Spätsommer, und ein Tag so schön und sonnig, wie sie nur in jenen Breiten während dieser Jahreszeit vorkommen. Meine Jagd hatte ich beendigt, einige Prairiehühner beschwerten meine Tasche, und mein Stückchen Brod und geröstetes Fleisch wähernd des Gehens verzehrend, schritt ich langsam am Kaskaskia hinauf. Oft wurde mein Pfad durch umgefallene, morsche Baumstämme unterbrochen, doch kleine Umwege beschreibend, gelangte ich immer wieder an den Fluß, dessen glatter Spiegel mich erfreute, dessen malerische Einfassung und zahlreiche Holzklippen ich immer mit neuem Wohlgefallen betrachtete, und zuweilen auch in meinem Taschenbuch, meinem beständigen Gefährten, skizzirte. Unmerklich hatte sich der Abend eingestellt; in der Hoffnung, auf eine Farm zu stoßen, verfolgte ich so lange die eingeschlagene Richtung, bis die dichter werdende Dunkelheit mich zwang, den Schatten des unwegsamen Waldes zu verlassen und mich der Prairie zuzuwenden, die sich in geringer Entfernung vom Flusse hinzog. Sie Alle wissen aus Erfahrung, wie auf den müden Wanderer, der ein Obdach sucht, das Gebelle eines wachsamen Hundes aufmunternd wirkt. Ich fühlte dieses so recht an jenem Abend, als ich fast die Hoffnung schon aufgegeben hatte, irgendwo anders als unter einem grünen Laubdache übernachten zu können, denn kaum vernahm ich in weiter Ferne die gedämpften Laute, welche mir die Nähe eines Gehöftes verriethen, als ich den lieblichen Gesang eines Spottvogels, dessen sanften Melodien ich aufmerksam gelauscht hatte, nicht mehr beachtete, schleunigst meine Richtung änderte, und rüstig dahin eilte, wo ich ohne Zweifel mit Menschen zusammentreffen mußte. Nach einem kurzen Marsch über grasreiche Wiesen versperrte eine rohe Einfriedigung mir endlich den Weg; ich kletterte hinüber, und auf der andern Seite auf einem abgeernteten Stoppelfelde hinschreitend, erreichte ich eine zweite Einfriedigung, welche einen Garten abschloß. Am entgegengesetzten Ende desselben erblickte ich, halb versteckt von dunkeln Laubmassen, ein Blockhaus, durch dessen geöffnete Thür mir auf das Einladendste Licht entgegenschimmerte. Ich war im Begriff über den Gartenzaun hinwegzusetzen, als einige Hunde sich mir mit wüthendem Gebelle entgegenstellten und mir standhaft den Eintritt verweigerten. Zugleich verdunkelte aber auch die Gestalt eines Mannes die erleuchtete Thüröffnung, und ich vernahm die barsche Frage; "Wer ist da?" "Ein Fremder, der Obdach sucht!" gab ich zur Antwort, und im nächsten Augenblick wurden die Hunde zurückgerufen. Ohne Zögern sprang ich in den Garten, und wenige Augenblicke darauf stand ich in der Thür, wo ich von einem alten Manne willkommen geheißen, von zwei jungen Burschen mittelst brennender Holzscheite von oben bis unten beleuchtet, und von einem allerliebsten jungen Mädchen neugierig betrachtet wurde. Mit wenig Worten berichtete ich, was mich eigentlich dorthin geführt habe, und knüpfte an dieses die Bitte um ein Nachtlager. "Ein Nachtlager sollt Ihr haben, Fremder," antwortete mir der Ansiedler, "doch nicht eher, als bis Ihr gehörig gespeist, und demnächst etwa von dem erzählt habt, was da draußen in der Welt vorgeht."
           Glückliche Menschen, die eine zehn Meilen entfernte Stadt schon "draußen in der Welt" nennen! so dachte ich, und trat in das von einem schwachen Kaminfeuer erhellte Gemach. Außer den eben genannten Personen erblickte ich in demselben auch noch eine ältliche Frau; sie war die Gattin des alten Farmers, zugleich die Mutter des jungen Mädchens und des einen jungen Burschen, während der andere als gemietheter Arbeiter dort in Brod stand. Mit einer wahren Herzlichkeit wurde ich von allen Seiten wie ein alter Bekannter begrüßt, man drückte mir die Hand, man nöthigte mich zum Sitzen, doch nach meinem Namen fragte Niemand; auch ich erkundigte mich nicht, von wem mir so freundliche Aufnahme zu Theil wurde, ich nahm Alles an, wie es gegeben wurde, und nur, als die Mutter dem jungen Mädchen einige Anweisungen hinsichtlich eines schnell zu bereitenden Mahles ertheilte, erfuhr ich, daß dasselbe Susanna hieß. Die übrigen Namen lernte ich auch noch im Laufe des Abends kennen, doch habe ich sie längst wieder vergessen. Ich warf also meine Prairiehühner in die Ecke neben dem Kamin, welches zugleich als Küche diente, setzte mich zu beiden Alten und befand mich bald mit ihnen in der lebhaftesten Unterhaltung, die ich durch unschuldige Scherze so würzte, daß der Hausmutter vor Lachen die Thränen über die Wangen rollten, der Vater wohlgefällig mit den Kopfe nickte, die jungen Burschen näher rückten, und die fröhliche Tochter mehrmals den bratenden Speck in Flammen gerathen ließ.
           Bei Ansiedlern, die so abgesondert leben, daß ihnen der gesellige Verkehr mit anderen Menschen fast gänzlich abgeschnitten ist, sind Reisende und Fremde immer gern gesehen; gelingt es aber einem solchen, einen guten Eindruck auf seine Gastfreunde zu machen, dann wissen diese nicht, was sie ihrem Besuch Gutes und Liebes erweisen sollen. So erging es auch mir in jenem Blockhause, denn noch keine Viertelstunde hatte ich mich dort befunden, als die Frau aufstand, ein kleines Schränkchen öffnete und aus demselben der schönen Susanna sechs Eier mit der Weisung überreichte, dieselben für den Fremden sorgfältig zu backen. Der Farmer blieb übrigens nicht hinter seiner Frau zurück, denn er nahm von einem Brett die bekannte große Korbflasche herunter, und goß erst für sich, und dann für mich ein Gläschen Branntwein ein, während von den jungen Leuten, der eine mir die gefüllte Thonpfeife, und der andere den brennenden Span hinhielt. "Wie glücklich und zufrieden leben doch diese einfachen Leute," dachte ich, als ich Beides annahm und zugleich nach der schönen Susanna hinüberblickte, die mit ihrem, von der Gluth gerötheten Gesichte ein überaus liebliches Bild zeigte. "Ihre großen blauen Augen hatten einen so fröhlichen und doch so milden Ausdruck, ihr Mund und ihre Nase waren so edel geformt, ihre Haut so weiß, ihre Wangen so frisch, und wie ein dicker Turban legte sich das starke braune Haar um ihre blaugeaderten Schläfen; die kleinen Hände und Füße, die schlanke Gestalt, kurz Alles schien hier vereinigt zu einem schönen Ganzen.

    "Sie beschreiben ja das junge Mädchen merkwürdig genau," unterbrach mich hier Mr. Carrol. "Warum sollte ich auch nicht?" fragte ich zurück; "in der Erinnerung erscheint mir Alles, was ich hier erzähle, wie ein schönes Bild, in welchem die Susanna den Mittelpunkt bildete, und welches mich damals um so mehr ansprach, als ich mich erst seit kaum einem Jahre, gewissermaßen als heimathloser Fremdling auf Eurem Continent befand."

"Ja, ich wiederhole es noch einmal: die Susanna war sehr schön, und mit doppeltem Appetit setzte ich mich an den gedeckten Tisch, als das junge Mädchen mich freundlich zum Essen nöthigte. Es gab, wie gewöhnlich auf den Ansiedelungen, Kaffee und Maisbrod, gebratenen Speck, Syrup, und dann noch zum Schluß die Eier, die ich ganz besonders für meisterhaft zubereitet erklärte, und zur größten Genugthuung meiner Gastfreunde aß ich wie ein hungriger Jäger.
           Nachdem ich meine Abendmahlzeit beendigt hatte, wurde die Unterhaltung wieder aufgenommen, und da die guten Leute unerschöpflich im Fragen und unersättlich im Zuhören waren, so erzählte ich bis tief in die Nacht hinein, und sprach besonders viel über mein schönes Heimathland und über meine Reisen, die in den Augen der gutmüthigen Menschen an's Wunderbare grenzten. Kurz vor Aufbruch der Gesellschaft wendete ich mich noch mit der Frage an den alten Mann: in welcher Richtung er mir am folgenden Tage meine Jagd fortzusetzen rathe.
           "Wenn Ihr Enten schießen wollt," antwortete er mir, "so braucht Ihr gar nicht so sehr weit zu gehen; es befindet sich nämlich in der Entfernung von zwei bis drei Meilen von hier ein See, der stets mit Vogelwild bedeckt ist," "von dem Ihr aber nichts erbeuten werdet," schaltete Susanna hier ein, "mein Bruder und noch mehrere andere Jäger haben dort oft genug gejagt, sind aber stets ohne Wild zurückgekehrt."
           "Schießen mögt Ihr wohl etwas," bemerkte der erwähnte junge Mann, "doch die sumpfigen Ufer und das tiefe Wasser des See's gestatten Euch nicht, Eure Beute zu holen."
           "Und dann," fiel der Alte wieder ein, "scheint es mir, als ob Euer kurzes Gewehr, welches halb Büchse halb Vogelflinte ist, und eigentlich keines von beiden sein kann, nicht dazu geschaffen wäre, das Blei bis nach der Mitte des See's hinzutragen."
           "Wenn nur Enten dort sind, bringe ich auch welche trotz des Sumpfes und trotz des kurzen Gewehrs," erwiederte ich, etwas verletzt durch den Zweifel an meiner Flinte.
           "Ich wette nein!" rief mir Susanna lachend zu.
           "Ich wette ja!" antwortete ich.
           "Was gilt die Wette?" fragte das fröhliche Mädchen.
           "Ich werde es morgen bestimmen!"
           "Nein jetzt!" rief sie wiederum, indem sie mir herausfordernd ihre kleine Hand entgegenhielt. "Natürlich gab ich nach, indem ich meine Hand in die ihrige legte, und scherzend die Hälfte der Wette sogleich, und die andere Hälfte am folgenden Tage festzustellen versprach."
           "Alle erklärten sich damit einverstanden, und ich begann: "Erbeute ich eine oder mehrere Enten, so kehre ich morgen Abend wieder hierher zurück und genieße noch auf einen Tag Eure Gastfreundschaft, gehe ich aber leer aus, so lasse ich mich nicht mehr erblicken, und für mich gewiß keine geringe Strafe ist."
           "Angenommen!" hieß es von allen Seiten. "Wir wünschten uns gegenseitig gute Nacht, ich drückte Allen die Hand, der schönen Susanna aber, wohl aus Versehen, zweimal, und folgte dann den beiden Burschen auf der Leiter nach, die uns auf den Hausboden führte.
           Ein hartes, aber sonst bequemes Bett nahm meine müden Glieder auf, doch lange noch, als die jungen Leute schon laut schnarchten. Lag ich schlaflos; ich grübelte und dachte hin und her; der Gedanke, mir eine Heimath zu gründen, wollte mich gar nicht wieder verlassen, und immer beneidenswerther erschien mir das Loos eines Ansiedlers. Dazwischen tauchte dann vor mir auf das freundliche Bild der offenen, ehrlichen Tochter des Hauses, in welchem ich mich als Gast befand. Mit dem Gedanken an dieselbe schlief ich ein, ich träumte auch von ihr -

    "mit einem Wort, Sie waren verliebt," unterbrach mich abermals Mr. Carrol.
               "Das gerade nicht," antwortete ich, "denn meine Träume waren nur die Fortsetzung der wirren Bilder einer aufgeregten Phantasie, die mich schon vor dem Einschlafen beschäftigt hatten."

Als ich mich am folgenden Morgen von meinem Lager erhob, hatten die männlichen Bewohner des Hauses sich schon in den Wald an ihre Arbeit begeben, wo sie Bäume fällten und zu ihren Einfriedigungen zurichteten. Ich stieg hinab und wurde alsbald von Mutter und Tochter auf eine unbeschreiblich einfache und dabei herzliche Weise begrüßt und zum Frühstück eingeladen. Ich saß zwischen Beiden, und theilte meine Zeit zwischen Essen und Plaudern, und lange würde ich noch dagesessen haben, wenn die Wette nicht gewesen wäre. Als ich im Begriff stand, das Haus zu verlassen, schob mir die Mutter noch Lebensmittel in die Tasche, worauf ich Susanna bat, mir den Weg nach dem See zu beschreiben, und nach einigen freundlichen Abschiedsworten, die ich an die alte Frau richtete, schritt ich in Gesellschaft des jungen Mädchens der Gartenpforte zu, von wo aus sie mir die Richtung nach dem See anzugeben beabsichtigte.
           "Und nun zum zweiten Theil unseres Wettpreises," wendete ich mich zu Susanna, als wir an der Pforte angekommen waren. "Das hätte ich beinahe vergessen," antwortete das Mädchen, indem sie mich fragend mit ihren schönen großen Augen anschaute; "nun was ist es?" "Wenn ich keine Ente schieße," hob ich an, "dann seht Ihr mich nicht wieder, gelingt es mir aber, einige hierher zu bringen, dann bitte ich, als Strafe für Euer Zweifeln an meiner Erfahrenheit als Jäger, für jede Ente um einen Kuß von Euren schönen Lippen." -

    "Dacht' ich's doch," unterbrach mich abermals der unverbesserliche Carrol.
               "Kann wohl ein junger sorgloser Mann von kaum vierundzwanzig Jahren ein junges Mädchen von vielleicht achtzehn Jahren, die obenein noch schön ist, um etwas Geeigneteres bitten?" fragte ich.
               "Nein, gewiß nicht," antwortete mit Enthusiasmus Carrol, der selbst ungefähr vierundzwanzig Winter zählen mochte; "doch was sagte Susanna zu Ihrem Vorschlag?"

Nun, das Mädchen benahm sich auf eine Weise, die mancher vornehmen empfindsamen Lady Ehre gemacht haben würde. Weit davon entfernt, Entrüstung zu zeigen oder zu heucheln, brach sie zuerst in ein herzliches Gelächter aus, besann sich dann einen Augenblick und reichte mir demnächst zum Zeichen des Einverständnisses ihre Hand, indem sie neckend sagte: "ja, das gehe ich ruhig ein, denn Enten bekommt Ihr doch nicht." "Sie bezeichnete mir darauf die Richtung, die ich einzuschlagen hatte, ich bat um die Vorausbezahlung für eine Ente, was mir aber abgeschlagen wurde, wir drückten uns zum Abschied die Hand, und ich wendete mich, um zu gehen." "Werden Taucher mit zu den Enten gerechnet?" rief ich zurück.
           "Gewiß soll das geschehen, wenn Ihr versprecht, auch ohne Wild heute Abend wieder bei uns einzukehren," antwortete Susanna, als sie fröhlich dem Blockhause zueilte. - "Was ich Alles dachte, als ich dem Waldsaum zuschritt, wo sich der See befand, weiß ich jetzt nicht mehr, ich glaube, es waren Gedanken, welche die schöne Susanna ebensoviel betrafen wie mich, Gedanken, die meinem Alter und meiner Lage ganz angemessen waren, jedenfalls mußten sie sehr interessant sein, denn ehe ich es noch gewahrte, befand ich mich am See, und sah auf den ersten Blick, daß der junge Mann in seiner Beschreibung vollkommen Recht gehabt hatte, daß es keine geringe Mühe kosten würde, über den moorigen Boden bis an's Wasser zu gelangen, und daß es alsdann, nach Erlegung einiger Enten, meiner ganzen Fertigkeit als Schwimmer bedurfte, um meine Beute von dem mit rankigen Wasserpflanzen reichbedeckten Spiegel des See's herunterzuholen.
           Sinnend schritt ich mehrmals um die trübe Lake, verlangend schaute ich nach den zahlreichen Enten hinüber, welche sich vollständig sicher wähnend, ihre harmlosen Spiele trieben, ausgelassen untertauchten, das Wasser mit ihren Schwingen Peitschten, oder kleine Strecken dicht über der glatten Fläche hinflatterten. Auch nach der Richtung, wo sich die schöne Susanna befand, blickte ich gelegentlich, und so verging denn wohl eine Stunde, ohne daß ich den Enten um einen Schritt näher gerückt wäre. Endlich kam ich zum Entschluß, ich legte das Gewehr zur Seite und begann mit meinem Jagdmesser Zweige von den nächsten Bäumen zu hauen, worauf ich dieselben nach einer Stelle hintrug, wo hohe Binsen und dichtes Schilf mich den Scharfen Augen der Enten verbargen. Dort nun baute ich von den laubreichen Aesten, über den moorigen Boden hinweg, nach der Mitte des See's zu, eine Art Brücke, die stark genug war, daß ich bei einiger Vorsicht, ohne Gefahr durchzubrechen, auf derselben hinschreiten konnte. Es war eine mühsame und langwierige Arbeit, doch nach Verlauf von einer bis zwei Stunden, und nachdem ich einige Male bis über die Hüften im Sumpf gesteckt hatte, war dieselbe so weit gediehen, daß ich zwischen den Binsen hindurch den Wasserspiegel nach allen Richtungen hin zu übersehen vermochte. Dort errichtete ich, ebenfalls von zweigen, ein floßähnliches Gerüst, auf welchem ich mich, ohne mit dem Wasser in Berührung zu kommen, hinstrecken konnte. Meine Arbeit war jetzt beendigt, doch glaube ich kaum, daß ich bei derselben so standhaft geblieben wäre, wenn mir das Bild des jungen Mädchens nicht vorgeschwebt hätte. Es mochte um die Mittagszeit sein, als ich mich auf meinen Posten begab. Zu meinem größten Leidwesen nahm ich aber wahr, daß alles Wild, mit Ausnahme einiger Taucher, wahrscheinlich in Folge der Bewegung, die ich während meiner Arbeit im Schilf erzeugte, sich nach, dem jenseitigen Ufer hinübergezogen hatte; es blieb mir also nur noch übrig, ruhig auf meinem Posten auszuharren, und auf eine günstigere Wendung der Dinge zu hoffen. Zum Glück war es sehr warm, meine Kleider, die ich mir beim Bau der Brücke durchnäßt hatte, trockneten allmählich wieder, und durchaus nicht unzufrieden mit meiner Lage, beobachtete ich die Enten, welche keine Lust zu hegen schienen, sich den Binsen zu nähern, in welchen ich verborgen war. - Stunde auf Stunde verstrich, es wurde vier Uhr und noch hatte ich keinen Schuß gethan, mißmüthig gedachte ich des kommenden Abends, und beabsichtigte schon einen Taucher, der harmlos in meiner Nähe herumschwamm, zum Ziel für meine Büchse zu machen, als ich den eigenthümlich pfeifenden Flügelschlag in der Luft vernahm, und gleich darauf zwei kleine blaugeflügelte Enten sich in geringer Entfernung vor mir auf dem See niederließen. Meine Freude war unbeschreiblich, da ich indessen nur das eine Rohr meines Gewehres mit Schrot geladen hatte, so übereilte ich mich nicht, sondern regungslos im Anschlage liegen bleibend, harrte ich wachsam auf den Zeitpunkt, in welchem ich beide auf einen Schuß würde erlegen können. Zufällig blinzelte ich nach dem jenseitigen Ufer hinüber, und glaubte meinen Augen nicht trauen zu dürfen, als ich die ganze geflügelte Gesellschaft, aus mehr wie hundert Mitgliedern der verschiedensten Arten bestehend, in gerader Linie auf mich zuschwimmen sah. Es war ein Schauspiel, wie ich es in jener Zeit zu häufig sah, als daß es mich hätte besonders aufregen können, daß hier aber mehr als Enten auf dem Spiele stand, das merkte ich an dem ungestümen Kreisen des Blutes in meinen Adern. Athemlos wartete ich auf den Augenblick, in welchem sich die Vordersten der Schaar, die ein stattlicher Erpel anführte, sich in meinen Bereich befinden würden, und schaute zugleich nach den beiden ersten Ankömmlingen hinüber, die verlegen ihre Hälse ausreckten und verkürzten, gleichsam unentschieden, ob sie die Ankunft des zahlreichen Besuchs abwarten oder davon eilen sollten. Endlich schwammen die eiligsten Enten schon in Schußweite, und immer neue Schaaren rückten heran, als die beiden Blauflügel sich plötzlich hoben und davonflogen. Diesen Augenblick hatte ich zu meinem Angriff erwählt; ich richtete mich auf, schoß meine Büchse ab und veranlaßte dadurch ein gleichzeitiges Heben der erschreckten Vögel, und als sich der dicht flatternde Haufen ungefähr zwei Fuß über der Wasserfläche befand, schickte ich die tödtliche Ladung des Flintenrohres in denselben. Sonst gewiß kein Freund von dem Anblick der Todeszuckungen, selbst der kleinsten Thiere, beobachtete ich doch mit innigem Behagen die mörderische Wirkung meines Schusses, denn wie ein Regen prasselte es auf's Wasser nieder, und nachdem sich die leicht Verwundeten und Flügellahmen entfernt hatten, erblickte ich noch acht Enten, die regungslos dalagen.
           Vollkommen zufrieden mit dem Erfolg meiner Jagd, handelte es sich jetzt zunächst darum: auch in den Besitz meiner Beute zu gelangen. Es blieb mir nur ein Weg offen, und der war, selbst hinzuschwimmen und wie ein abgerichteter Hund die Enten zu apportiren. Ich entschloß mich schnell, traf meine Vorbereitungen, und kroch dann, um nicht in dem Sumpfe stecken zu bleiben, ähnlich einer Schlange in's offene Wasser; kaum befand ich mich aber in demselben, als ich meinen voreiligen Schritt fast bereute, denn anstatt in tiefer Fluth zu schwimmen, wie ich erwartet hatte, fühlte ich mich nur schwach getragen von seichtem, warmem Wasser, und unmittelbar unter mir halbflüssigen Schlamm, der die Bewegung meiner Glieder auf wahrhaft erschreckende Weise hemmte. Zu diesem Uebelstande gesellte sich noch, daß sich die rankenähnlichen Stengel von Sumpfpflanzen um meine Hände und Füße legten, und mich so fesselten, daß ich kaum von der Stelle zu rücken vermochte. Ich behielt indessen mein Ziel im Auge, und arbeitete mit Aufbietung meiner ganzen Kräfte, bis ich endlich, nach Zurücklegung von ungefähr dreißig Schritten , die erste Ente erreichte; ich ergriff dieselbe und schleuderte sie dem Ufer zu, worauf ich mich zur zweiten hinarbeitete und diese der ersten nachsendete, eine dritte, vierte und fünfte erreichte ich noch, als ich meine Kräfte so abnehmen fühlte, daß ich die übrigen aufgeben und den Rückweg einschlagen mußte. Mehr als einmal verwünschte ich mein Unternehmen, als ich in dem, durch meine ersten Bewegungen verdickten schleimigen Wasser, das Ufer wieder zu erreichen strebte. Ich befand mich eigentlich nicht mehr im Wasser, sondern in einem beweglichen Schlamm, der eisig kalt und übelriechend aus der Tiefe hervorzuquellen schien. Wie eine Schnecke kroch ich dahin, die Sehnen an den Knieen und Armen begannen zu erschlaffen, ich fühlte ein krampfhaftes Zittern meines Körpers, und unerreichbar erschien mir das Ufer, von welchem ich nur wenige Fuß entfernt war.
           Ich kann nicht leugnen, daß ich etwas von Todesangst empfand, doch trotz dieser vergaß ich nicht meine Enten. Bis auf eine, die ich aus meiner Richtung geworfen hatte, schleuderte ich dieselben, so oft ich sie erreichte, von Neuem dem Ufer zu, und seufzend dachte ich dabei jedesmal: wenn doch auch mich Jemand so durch die Luft befördern wollte; und als meine Beute dann auf dem Trocknen lag, und ich fast ohnmächtig noch mit Schlamm und Schlingpflanzen kämpfte, wie beneidete ich da die todten Thiere um ihren sichern Platz. Glücklicher Weise hatte ich beim Hineinkriechen in's Wasser einige lange Binsen umgeknickt und in meinen Weg hineingeschleppt; diese nun erreichte ich, als ich schon an meiner Rettung zu zweifeln begann; Zoll für Zoll an den zähen Halmen mit den Händen weiter fassend, gelang es mir endlich nach unsäglicher Mühe, meinen Körper auf den schwankenden Boden zu schleppen, wo sich mein Laublager befand. Ich warf mich auf dasselbe hin und lag wohl eine halbe Stunde, ehe ich mich so weit erholt hatte, daß ich wieder ruhig an die schöne Susanna, an die Enten und die Wette denken konnte. Ich entfernte dann die Spuren das Schlammbades von meinem Körper, rüstete mich zur Heimkehr, befestigte meine vier erbeuteten Enten an der Jagdtasche, warf einen letzten, sehnsüchtigen Blick auf die zurückbleibenden, und als ich endlich meinen Fuß wieder auf trocknen, festen Boden setzte, verschwand die Sonne hinter den hohen Bäumen des nahen Waldes. Rüstig und fröhlich schritt ich dem bekannten Blockhause zu, die Beschwerden des Tages hatte ich vergessen, dafür dachte ich aber um so lebhafter an meine gewonnene Wette und die frischen, rothen Lippen der schönen Susanna. -

Fortsetzung der Erzählung: Aus meinem Jagdleben in Illinois.
in
Reisen in die Felsengebirge Nord-Amerikas bis zum Hoch-Plateau von Neu-Mexico. Erster Band.- Leipzig: Otto Purfürst (und) Hermann Costenoble. o.J. (1861).

Fünfzehntes Kapitel, Seite 309

Ich befand mich also auf dem Wege nach dem Blockhause. Ein eigenes Gefühl der Zufriedenheitt beschlich mich, als ich durch die Fluren dahinschritt, deren überaus liebliches Grün, in Folge der eintretenden Dämmerung und des fallenden Thau's, in einer dunklern und frischern Farbe prangte. Anmuthige Baumgruppen ragten hin und wieder empor, und nach dem Flusse zu, da wo die schöne Susanna weilte, dehnte sich, so weit das Auge reichte, der majestätische Wald mit seinen dunkeln Schatten aus. In stiller Bewunderung blickte ich wieder von dem Einen zum Andern hinüber. Alles sah so freundlich stille, so einladend aus, als wenn die ganze Landschaft nur zur Wohnung des Glückes und der Zufriedenheit geschaffen wäre; und dabei verrieth die üppige Vegetation eine solche Zeugungskraft des Bodens, daß ein Blick genügte, um den verborgenen Reichthum des ganzen Landstrichs zu erkennen, der dem arbeitsamen und genügsamen Ackerbauer winkte. Hier möchte ich leben und sterben, dachte ich, und zum ersten Male seit langer Zeit vergaß ich, wie sehr ich immer für ein freies Wanderleben geschwärmt, und welches Ziel ich mir, nach manchen fehlgeschlagenen jugendlichen Hoffnungen, endlich gesteckt hatte. Hier möchte ich leben und sterben, sagte ich laut vor mich hin, als des Blockhaus hinter den Bäumen sichtbar wurde, und das liebliche Bild der unschuldigen Susanna mir vor die Seele trat. Langsam schritt ich auf die Hütte zu, allerlei Gedanken von Ansiedeln, Heirathen und Glücklichsein jagten wie toll an mir vorüber, bis mich plötzlich die Stimme des alten Farmers harsch aus meinen jugendlich-phantastischen Träumen weckte, der mir von seiner Hausthür aus laut zurief: "Da seid Ihr ja wieder, Fremder!" "Ja, da bin ich, gab ich zur Antwort, und zwar mit Enten," wobei ich die vier Vögel dem alten Mann entgegenschüttelte. Augenblicklich füllte sich die Thür mit Bewohnern des Hauses, welche mir alle freundlich grüßend die Hände entgegenreichten. "Ihr kommt gerade zur rechten Zeit, um an unserm Mahl Theil zu nehmen," bemerkte gutmüthig die alte Frau, und nöthigte mich darauf einzutreten. "Nein," erwiderte ich, "nicht eher überschreite ich die Schwelle Eures gastfreundlichen Hauses, als bis ich weiß, daß ich wirklich meine Wette gewonnen, und daher gerechten Anspruch auf Obdach habe; ich wendete mich hierauf zu dem jungen Mädchen mit der Frage: "Susanna, erklärt Ihr die Wette für gewonnen?" Das Mädchen erröthete, weil ihm nicht fremd war, um was es sich eigentlich handelte, und fragte dann schalkhaft zurück: "Womit beweist Ihr, daß diese Enten vom See sind?" "Mit meinen Gliedern," antwortete ich, indem ich die Aermel aufstreifte und die von dem Schilf zurückgelassenen Schnittwunden zeigte; "und mit meinen Kleidern," fuhr ich fort, "die sich jetzt in einem andern Zustande als heute Morgen befinden!"
           "Ja, ja! Die Enten sind vom See," bekräftigte der alte Mann. "Und die Wette ist redlich gewonnen," fügte Susanna hinzu und verschwand im nächsten Augenblick hinter der Thür.
           Ich trat ein in die einfache Wohnung, die ich zu jener Zeit mit keinem Marmorgebäude hätte vertauschen mögen, und schwelgte gewissermaßen in dem Anblick meiner Umgebung, die mir so heimisch und friedlich entgegenlächelte. Die roh behauenen Balken, welche schwer auf einander liegend, die Wände bildeten, verliehen dem Gemach den Anstrich einer überaus einladenden Gemüthlichkeit, welche durch den breiten, von Feldsteinen aufgeführten Kamin noch gehoben wurde. Die September-Temperatur machte freilich den Gebrauch des Kamins zur Erzeugung von Wärme überflüssig, doch blickte ich wohlgefällig zu der Gluth hinüber, bei welcher verdeckte Gefäße mit zischendem und duftendem Inhalte standen, und aufmerksam von der geschäftigen Hausfrau bewacht wurden. Zahlreiche Pflöcke hafteten in den hölzernen Wänden, und beim flatternden Licht der Flamme konnte ich erkennen, daß jeder derselben zu einem besondern Zwecke bestimmt war. Auf einigen ruhten lange Missouri-Büchsen, an andern hingen Pulverhorn und Kugeltasche, getrocknete Hirschhäute, Hüte oder Kleidungsstücke, und trotz der Unregelmäßigkeit, mit der Alles angebracht war, blickte doch wieder eine gewisse Ordnungsliebe und vor allen Dingen die größte Reinlichkeit durch. Behaglich dehnte ich mich auf dem knarrenden Stuhl, dessen Sitz aus roher Ochsenhaut geflochten, gleichsam für die Ewigkeit berechnet war, und begann meine Unterhaltung mit folgenden Worten: "Ich möchte wohl Euer Nachbar sein, und eben solch Haus, Hof und Garten wie Ihr besitzen!" "Ist's weiter nicht's," fragte der alte Farmer, indem er mich wohlwollend ansah; "der Wunsch kann leicht in Erfüllung gebracht werden!" "Wenn ich Geld hätte," antwortete ich, "dann würde es natürlich leicht genug sein, doch was soll wohl ein armer Ausländer, der nur über seine gesunden Glieder und seine Büchse zu verfügen hat?" "Und sind gesunde Glieder nicht genug, um sich eine Heimath zu gründen?" fragte der Alte wieder. "Ich setze den Fall, Ihr wäret entschlossen. Mein Nachbar zu werden, so könntet Ihr ganz in unserer Nähe Eure achtzig Morgen Land kaufen, ohne einen Pfennig in der Hasche zu haben, und ich bin überzeugt, daß es Euch bei einiger Ausbauer gelingen würde, innerhalb fünf Jahre den Kaufpreis vollständig abzuzahlen. Zu einem Blockhause wollten wir und einige entfernter lebende Nachbarn Euch bald verhelfen, eine Frau sucht Ihr Euch selber, und wenn Ihr dann nur fleißig arbeitet, so werdet Ihr nach kurzer Zeit so schön eingerichtet sein, wie ich hier, und Euch doppelt über Euer Eigenthum freuen, weil Ihr es nächst Gott und Euren eigenen Anstrengungen zu verdanken habt."
           Ich kann nicht leugnen, daß mir die Rathschläge des ehrlichen Farmers, bis auf die schwere Arbeit, sehr zusagten, doch auch der Gedanke an das Mühevolle des Farmerlebens nahm eine mildere Färbung an, wenn ich zu der schönen Susanna hinüberblickte, die aus dem einzigen Nebengemach ein weißes Tischtuch hervorgeholt hatte, und mit wohlkleidender Geschäftigkeit die Vorbereitungen zu einem frugalen Abendbrod traf. Immer ansprechender malte mir der alte Mann, wie auch seine Frau, das einsame Leben aus, und immer lieblicher erschien mir das junge Mädchen, welches keine Ahnung davon hatte und auch nie erhielt, daß sie in der Wahl meiner künftigen Lebensweise den Ausschlag geben sollte.
           So kam ich denn endlich zu dem festen Entschluß, mich anzusiedeln, vorausgesetzt, daß mich die schöne Susanna nicht verschmähen würde, und dadurch, daß sie mir ohne Zaudern den Preis für die Wette zugesagt hatte, glaubte ich mich zu den schönsten Hoffnungen berechtigt.
           Wir nahmen endlich um den Tisch Platz, und wie sich von selbst versteht, setzte ich mich zu dem jungen Mädchen. In harmloser, gemüthlicher Unterhaltung saßen wir lange beisammen und die Mitternachtsstunde konnte nicht mehr fern sein, als der Hausvater daran erinnerte, daß es Zeit sei, aufzubrechen und den übrigen Theil der Nacht zur Ruhe zu verwenden. Ehe wir uns trennten, theilte ich meinem freundlichen Wirthe mit, daß es meine Absicht sei, noch einige Tage in dortiger Gegend zu jagen, und sodann, gemäß einer Verabredung, an einem gewissen Punkte am Flusse mit einem Farmer zusammenzutreffen, der mich mit dem etwa erbeuteten Wild nach der Stadt fahren sollte; ich schloß aber damit, daß ich in nächster Zeit wieder vorsprechen würde, um weitere Erkundigungen, mein Ansiedeln betreffend, einzuziehen.
           In herzlicher Weise wünschten wir uns gegenseitig eine gute Nacht, und bald darauf befand ich mich wieder auf dem bekannten Lager und schlief nach wenig Minuten so fest, daß ich sogar unzugänglich für Träume war.
           Am folgenden Morgen verzehrte ich mein Frühstück wieder in der Gesellschaft von Mutter und Tochter. Die übrigen Bewohner der Blockhütte hatten sich schon längst in den Wald begeben und die Nachricht für mich zurückgelassen, daß ich sie bei ihrer Arbeit besuchen und, im Falle ich gesonnen sei weiter zu reisen, dort von ihnen Abschied nehmen möchte. Ich übereilte mich nicht mit meinem Aufbruch, denn ich wäre ja so gerne für immer dageblieben, doch die Aussicht, bald wiederzukehren, erhielt mich bei fröhlicher Laune. Ich dankte endlich der alten Frau für die genossene Gastfreundschaft, wie auch für den Imbiß, den sie mir wieder in die Tasche schob, sagte ihr ein herzliches Lebewohl und bat darauf das junge Mädchen, mir den Weg nach dem Arbeitsplatz im Walde zu zeigen.
           Bereitwillig trat Susanna an meine Seite und schweigend durchschritt ich mit ihr den kleinen Garten; der Schall der Aexte drang deutlich herüber, und hätte mir bequem als Führer dienen können, doch in jener Zeit hatte ich für weiter nichts mehr Sinn oder Gedanken, als für das liebliche, junge Wesen, welches, das Bild der reinsten Unschuld, neben mir herschritt.
           Endlich stand Susanna stille, "ich muß jetzt heimkehren," redete sie mich an, "den Weg zu meinem Vater könnt Ihr nicht mehr fehlen;" sie reichte mir die Hand zum Abschied, und jetzt erst wagte ich es mit einer gewissen Schüchternheit, sie an die gewonnene Wette zu erinnern.
           Tiefe Röthe bedeckte für einen Augenblick ihre reizenden Züge, und in ihr gewöhnliches klangvolles Lachen ausbrechend, rief sie mir zu: "Die Wette habt Ihr redlich gewonnen, doch verlangt Ihr wohl nicht, daß ich geben soll, was Ihr Euch höchstens nur nehmen dürft?"
           Im nächsten Augenblick hielt ich sie in meinen Armen und drückte einen langen Kuß auf ihre rothen, frischen Lippen. "Der gilt für zwei," sagte Susanna, indem sie sich lachend meinen Armen entwand, denn für einen dauerte er doch zu lange. Ich ließ indessen nicht mit mir handeln, sondern raubte ihr den zweiten, dritten und vierten, und wollte mir noch einen fünften als Zugabe erbitten, als sie wie ein Aal meinen Händen entglitt, und sich einige Schritte von mir hinstellend, mir auf die muthwilligste Weise auseinander setzte, daß die Wette redlich gewonnen, aber auch redlich bezahlt worden sei! "Dann reicht mir wenigstens Eure Hand zum Abschied," erwiderte ich näher tretend und ihr in die schönen Augen blickend. Susanna ließ mich gewähren, ich legte meine Hand auf ihre züchtig bedeckte Schulter und war eben im Begriff, weit auszuholen und ihr, in der mir damals noch sehr unbequemen englischen Sprache, mein ganzes Herz zu eröffnen und einen recht poetischen Heirathsantrag zu machen, als sie plötzlich einen Schritt zurücksprang und sich fast zu gleicher Zeit eine knochige Faust in so unbequemer Nähe vor meiner Nase zeigte, daß ich ebenfalls durch einen kühnen Sprung mich aus der gefährlichen Nachbarschaft zu entfernen trachtete. Mein erster Gedanke war der alte Farmer, doch wider Erwarten erblickte ich ein ganz fremdes Gesicht, welches einem jungen schlanken Burschen angehörte, der mit der Miene eins beleidigten Wütherichs vor mir stand. "Ich werde Euch lehren, anderer Männer Bräute küssen," rief er mir zu, indem er den Rock auszog und mich dadurch veranlaßte, das Gewehr fallen zu lassen und die Hand an's Messer zu legen. Eh' der Fremde indessen mit seinen Vorbereitungen zum Kampfe fertig wurde, hing die fröhlich lachende Susanna an seinem Halse und rief einmal über das andere Mal: "John, mache doch keinen Narren aus Dir, und höre mir nur eine Minute zu." Wer hätte solchen Bitten wohl widerstehen können? Sogar der wilde John, der übrigens das Muster eines jungen kräftigen Farmers war, gab nach, und alle Feindseligkeiten für den Augenblick einstellend, horchte er aufmerksam, als das Mädchen ihm von meiner ersten Ankunft im elterlichen Hause, von der Entenjagd und von der Wette erzählte.
           Das Gesicht des jungen Menschen erheiterte sich bei jedem Worte mehr und mehr, und als Susanna geendigt hatte, reichte er mir treuherzig die Hand, wobei er mit einer gewissen Eitelkeit bemerkte: "Ihr würdet wohl keine Enten von dem See geholt haben, wenn Euch nicht das Mädchen dazu veranlaßt hätte?" "Nein, gewiß nicht!" bekräftigte ich, und zwar aus vollem Herzen, wobei ich dem jungen Farmer ebenfalls die Hand drückte, obgleich ich ihn wer weiß wohin wünschte.
           Meine Lust, mich dort anzusiedeln, war plötzlich verschwunden; Susanna erzählte wohl, daß ich beabsichtige, der Nachbar ihrer Eltern zu werden, und daß sie sich um so mehr darüber freue, weil ja in einigen Wochen ihre Hochzeit sei, und sie dann die geliebte Blockhütte verlassen müsse, um in einer andern, weiter oberhalb am Flusse, ihr Regiment als Hausfrau zu beginnen. Der junge Mann sprach sich ebenfalls anerkennend über meinen Entschluß aus, so daß ich glaubte, nicht klüger handeln zu können, als Allem beizupflichten, und von der Aenderung meiner Pläne nichts durchblicken zu lassen.
           Als ich Miene machte, meiner Wege zu gehen, ergriff mich der junge Mansch bei der Hand und sagte: "Nein! jetzt, da wir uns kennen gelernt haben, lasse ich Euch nicht fort; ich bin eben zum Besuch hierher gekommen und will einige fröhliche Tage mit dem künftigen Nachbar meiner Schwiegereltern verleben."
           Wenn die beiden Leutchen nicht so viel mit sich selbst zu thun gehabt hätten, so wäre ihnen schwerlich der Ausdruck getäuschter Hoffnung in meinen Zügen entgangen, den ich beim besten Willen nicht unterdrücken konnte. Ich erinnerte mich daher plötzlich, daß die allernothwendigsten Geschäfte meine Gegenwart in der Stadt erheischten; was hätte mich auch nun noch an das Blockhaus fesseln können? Doch versprach ich wiederzukehren und reichte Beiden die Hand zum Abschied. "Also auf Wiedersehen," rief mir Susanna zu, "und jetzt, da mein John hier ist, gebe ich Euch aus freien Stücken die Zugebe, die ich Euch vorhin verweigerte," und mit diesen Worten trat sie zu mir heran und drückte ihre Lippen fest auf meinen Schnurrbart. Der junge Mann lachte; das muthwillige Mädchen lachte und auch ich lachte; mein Lachen aber entsprang aus einem versteckten Wehgefühl.
           Wir trennten uns; das junge Paar schritt Arm in Arm dem Blockhause zu; ich blickte ihnen, so lange sie mir sichtbar blieben, nach, aber nicht ein einziges Mal schauten sie sich nach dem einsamen Fremdling um, Ich wischte eine Thräne aus meinen Augen, wendete mich dem Walde zu und pfiff ein munteres Liedchen, in meinem Herzen aber war ich traurig und wiederholte mir fort und fort das einzige Wort "heimathlos!"
           Als ich bei den fleißigen Holzhauern anlangte, erkundigte ich mich nur nach dem Hochzeitstage des Mädchens, dankte für die freundliche Aufnahme, und schied mit den Worten: "Auf Wiedersehen!"
           Noch einmal bin ich in jene Gegend zurückgekehrt, doch die schöne Susanna sah ich nie wieder. Drei Wochen später nämlich und gerade einen Tag vor der Hochzeit, in der Mittagsstunde, als alle Bewohner sich in der Blockhütte befanden, hing ich an einen Baum, nage der Gartenpforte, so daß es bald bemerkt werden mußte, den Rücken eines feisten Hirsches, und entfernte mich dann unbeobachtet. Auch ein Briefchen ließ ich an jener Stelle zurück und in demselben stand: "Viel Glück dem jungen Brautpaar."
           Jahre sind nun schon seit jener Zeit verflossen. Susanna ist jetzt gewiß eine recht brave Farmerfrau. Auch ich bin schon lange aus einem verwilderten Abenteurer ein gesetzter Familienvater geworden, und zwar so, daß ich mich der drohenden Faust des Farmers Jhon oft recht dankbarlich erinnere. Wenn ich nun in meiner glücklichen Heimath im trauten Familienkreise sitze, dann erzähle und beschreibe ich gerne, wie auch hier in der Urwildniß, Scenen aus meinem frühern Leben, die sich in meiner Erinnerung wie lauter lächelnde Bilder an einander reihen.



zum Seitenanfang