Die Bärenjagd

Der Text erschien unter der Bezeichnung:
Beschreibung von einer Bärenjagd am Missouri.
in
Reisen in die Felsengebirge Nord-Amerikas bis zum Hoch-Plateau von Neu-Mexico. Zweiter Band.- Leipzig: Otto Purfürst (und) Hermann Costenoble. o.J. (1861).

Sechsundzwanzigstes Kapitel, Seite 118

Versetzen wir uns also in Gedanken an den obern Missouri, weit oberhalb der Mündung des Nebrasca, da, wo die Poncas, Pawnees und Omahas jagend umherstreifen. Dort nun in einem alten Blockhause, dessen nachlässig zusammengefügte Wände den rauhen Märzstürmen auf's Gefälligste zahlreiche Oeffnungen boten, um bis zu den Bewohnern, die gewöhnlich vor dem Kaminfeuer saßen, durchdringen zu können, lag ich eines Nachts inmitten einer sehr gemischten Gesellschaft, auf weichen Büffel- und Bärenhäuten, und schlief recht sanft. Unter der Bezeichnung "gemischte Gesellschaft" verstehe ich hier, daß die dunkeln Gestalten, die mich umgaben, Repräsentanten verschiedener Racen und Stämme, so wie verschiedenen Geschlechts und Alters waren. Mochten sie aber sein, wer oder was sie sollten, es kümmerte sich wenigstens Niemand darum, daß der Sturm luftig zwischen den Balken der Wände hindurchsang, und ein übermüthiger Windstoß gelegentlich in den Schornstein hinabfuhr, und das Gemach mit feiner Asche und Rauch erfüllte. Ich schlief recht sanft, wie ich Ihnen versichern kann, und wenn mich auch wirklich ein baumlanger Indianer, mit dem ich mein Lager theilte, zuweilen durch Ellenbogenstöße weckte, so zahlte ich für die unwillkommene Gabe mit einigen wohlgemeinten Fußtritten, und wenn auf der andern Seite eine diebische alte Squaw mir mein vorletztes Hemde unter dem Kopfe hervor, oder mein blankes Messer aus dem Gürtel stehlen wollte, so zauste ich sie dafür nach besten Kräften an ihren struppigen Haaren, und schlief dann ruhig weiter. Dergleichen harmlose Zwischenfälle störten nämlich in keiner Weise das allgemeine gute Einvernehmen, und noch einmal wiederhole ich es, ich schlief sanft in dem Gemach voll Asche und Rauch, so wie bei dem Concert des Sturmes, welches durch Schnarchen, behagliches Stöhnen und schlaftrunkenes Murmeln und Grunzen verstärkt wurde.
           Es mochte etwa zwei Stunden nach Mitternacht sein, als mich abermals ein leises Zupfen aus meinem Schlummer störte, und ich mechanisch die Faust nach dem Skalp de diebischen Indianerin ausstreckte, doch in demselben Augenblick legte sich eine Hand leise auf meinen Mund, und ich vernahm dicht vor meinem Ohr das leise geflüsterte Wort: "Wabash!" Ich fuhr auf und erblickte den "Gelben Marder", einen prachtvollen jungen Indianerburschen, der sich über mich hinneigte, bedeutungsvoll mit der Hand winkte und das Wort Wabash wiederholte. Wabash ist eine indianische Bezeichnung für Bär, und brauchte ich mich also nicht sehr anzustrengen, im die Absichten des Burschen zu errathen.
           Wenn der Indianer dortiger Gegend einen Bären tödtet, so wird ihm dies fast ebenso hoch angerechnet, als wenn er einen Feind erschlagen und skalpirt hätte; um also nicht genöthigt zu sein, solchen Ruhm mit einem Stammesgenossen zu theilen, forderte der junge, ehrgeizige Mensch mich auf, ihm bei der Erlegung des beizustehen, dessen Morgenspaziergang er seit längerer Zeit ausgekundschaftet hatte. Die Aussicht auf eine Bärenjagd war hinreichend, die letzte Probe von Müdigkeit aus meinen Gliedern zu verscheuchen; schnell aufspringend ergriff ich meine Waffen, die bei mir in Bette lagen, und folgte dem jungen Menschen nach. Vorsichtig schritt ich über bemalte Krieger, schlafende Weiber und verhüllte Kinder hinweg; es traf mich wohl hin und wieder ein Blitz aus den dunkeln Augen, doch schlossen dieselben sich wieder, nachdem sie mich erkannt hatten, und ungehindert gelangte ich durch die verhangene Thüröffnung in's Freie, wo der heftige Sturm mich zwar erfrischte, aber meine Augen die schwarze Finsterniß nicht auf drei Schritte weit zu durchdringen vermochten. Nach kurzer Zeit hatte ich mich indessen an die Dunkelheit gewöhnt, und vermochte die schwarze Gestalt des Indianers zu unterscheiden, der mich anwies, ihm auf dem Fuße zu folgen. Unser Weg führte am Abhange der Hügel hin, welche dort das Thal des Missouri begrenzen und deren Höhen sich zu weiten, grassreichen Ebenen vereinigen. Meine ungetheilte Aufmerksamkeit wendete ich indessen nur dem unwegsamen Boden zu, auf dem ich häufig stolperte und ausglitt, während mein Gefährte wie ein Schatten über denselben gleichsam hinschwebte; außerdem fehlte uns auch, da die Dunkelheit die Zeichensprache unmöglich machte, jedes andere Mittel zur Unterhaltung, und so schritten wir denn lautlos einige Stunden dahin, bis der Tag zu dämmern begann, und der Indianer durch Stillestehen und das leise ausgesprochene Hau! Sich als am Ziele angekommen erklärte.
           Dort nun standen zerstreut in weiten Zwischenräumen niedrige Eichen umher, welche gewöhnlich den Rand der Prairie charakterisiren; zu einem solchen Baume trat der junge Mensch heran, lehnte seine Büchse an den Stamm, und kletterte zu meiner größten Verwunderung mit der Behendigkeit eines Eichhorns hinauf. Gleich darauf stürzte etwas schwer vor mir nieder, und nicht anders glaubend, als daß dem Indianer ein Unglück widerfahren sei, bückte ich mich zu der unförmlichen Masse nieder, die regungslos dalag. Ehe ich mich indessen vollständig davon überzeugt hatte, daß ich den schon erkalteten und steifen Körper eines jungen Hirsches betastete, stand der Indianer bereits wieder an meiner Seite, und drückte mir den einen Hinterlauf des Thieres in die Hand, er selbst ergriff den andern, und mich gleichsam mit sich fortziehend, schlug er eine Richtung ein, die uns nach einem angestrengten Marsche von etwa fünfhundert Schritten aus Schußweite von den Hügeln brachte. Dort legte er den Hirsch nieder, worauf er dem nächsten Hügel zueilte, und auf dem Gipfel desselben angekommen, mir bedeutete, neben ihm auf dem Boden Platz zu nehmen und lautlos zu harren.
           Es begann jetzt zu tagen, und deutlicher vermochte ich selbst entferntere Gegenstände zu unterscheiden. Wie ein schwarzer Streifen zog sich das bewaldete Ufer des Missouri dahin, und zwischen diesem und uns dehnte sich das mit verkrüppelten Eichen spärlich bewachsene Thal aus. Allmählich erkannte ich auch die Stelle, wo wir den Hirsch niedergelegt hatten, ebenso den Hirsch selbst; derselbe befand sich in gerader Linie etwa hundertundfunfzig Schritte von uns entfernt, der Wind blies uns von dorther entgegen, und klar wurde mir der Plan, den der Wilde mit der seiner Race eigenthümlichen Schlauheit entworfen hatte. Seit langer Zeit schon mußte er dem Bären nachgespürt haben, bis er endlich die Richtung ausgekundschaftet, in welcher derselbe zur frühen Morgenstunde vom Wasser zurückkehrend, nach den weiter abwärts gelegenen, dicht bewaldeten Schluchten wanderte. Durch den Hirsch, welchen er am vorhergehenden Tage geschossen, und in dem Baume aufgehangen hatte, bezweckte er nur, den Bären so lange aufzuhalten, als nöthig war, um mit Sicherheit auf ihn schießen zu können, und daß er die Höhe zu unserm Standpunkte wählte, geschah ebensowohl unserer eigenen Sicherheit wegen, als um einen Ueberblick über die Niederung zu gewinnen.
           Wie genau der stattliche Junge, der neben mir im Grase lag, gerechnet hatte, erkannte ich sehr bald, denn noch war der letzte Schimmer der Dämmerung nicht aus dem Thale gewichen, als er mit dem schwanken Stabe, den er beim Schießen als Rast für seine Büchse benutzte, nach dem Waldessaum hinüberwies, wo sich ein schwarzer Punkt von dem Schatten der Bäume trennte. Es war wirklich der Bär, der sich mit aller Gemächlichkeit dazu anschickte, nach seiner Schlicht zurückzukehren, und in gerader Richtung auf unsern Hügel zuschritt. Als ich ihn erblickte, war er beinahe noch eine Meile von uns entfernt, da ich aber hier zum ersten Male den verrufenen, grauen Gebirgsbären bekämpfen sollte, gegen den der schwarze Waldbär wie ein Kind erscheint, so kam mir der vorhergehende Anblick desselben sehr zu Statten, um die Aufregung, in welcher ich mich befand, etwas zu unterdrücken, und dadurch dem etwaigen Zittern meiner Hand beim Feuern vorzubeugen.
           Keine Secunde wendete ich meine Augen von dem Bären, und wie ich damals mit der größten Aufmerksamkeit, ich kann wohl sagen mit einer Art von Freude, alle Bewegungen des scheinbar schwerfälligen Thieres beobachtete, so gebe ich Ihnen hier eine ausführliche Beschreibung der komischen Manieren, die mich zum Lachen reizten, und mich fast vergessen ließen, zu welchem Zweck ich dort oben im feuchten Grase lag. Selbst dem wärmsten Verehrer der Natur und dem aufmerksamsten Forscher, der keine Mühe scheut, gelingt es nur selten, größere Raubthiere zu beobachten, wenn sie sich, ihren Eigenthümlichkeiten folgend, gleichsam in ihrer Häuslichkeit ungestört und ungenirt bewegen.
           Mit gemessenem Schritte folgte der Bär also der eingeschlagenen Richtung; hin und wieder stand er still, schnupperte auf dem Boden umher, reckte seine Nase in die Luft, wie um den Wind zu Prüfen, verfiel dann wieder in seine gemächliche Gangart, und näherte sich uns auf diese Weise bis auf etwa vierhundert Schritte; dort schnupperte er längere Zeit wie suchend umher, kratzte zierlich mit den langen Nägeln zwischen dem dürren Grase, hielt die unförmliche Tatze an die Spitze seiner Nase, und augenscheinlich befriedigt von dem Geruch, setzte er sie wieder auf die Erde, warf sich auf den Rücken, und wälzte sich mit dem Ausdruck des größten Wohlbehagens einigemal umher. Als er sich von dem Duft der Pflanzen, die ihn zu dem sonderbaren Benehmen veranlaßt hatten, hinreichend durchdrungen glaubte, erhob er sich, schüttelte die Erde aus seinem zottigen Pelz und schritt gemächlich weiter. Nach kurzer Zeit stand er wieder still und verharrte wie nachsinnend einige Minuten regungslos; plötzlich setzte er sich nieder, und den Vorderkörper aufrichtend, kratzte er sich abwechselnd mit den Vordertatzen auf energische Weise die rechte und die linke Seite, fuhr sich mit den Armen einigemal über die Augen, betrachtete aufmerksam die langen Nägel, leckte das Innere der fleischigen Hände, und lauschte dann wiederum gespannt einige Secunden. Nachdem er sich dann mit den Hintertatzen die Schultern und den Hals etwas gerieben, stellte er sich aufrecht wie ein Mansch hin, schaute nach allen Seiten, ließ sich auf alle Viere nieder, und verfiel dann, wie um die verlorene Zeit einzuholen. In einen kurzen Trab, der ihn nach kurzer Zeit bis in die Nähe des Hirsches brachte. Kaum gewahrte er aber das todte Wild, als er wie von heftigem Schreck befallen, sich auf seine Hinterbeine aufrichtete; er senkte seinen Körper indessen sogleich wieder, und den Kopf von der einen zur andern Seite neigend, betrachtete er aufmerksam mit krauser Stirn und gespitzten Ohren den Gegenstand seiner ersten Ueberraschung. Endlich schritt er ganz zu dem Hirsch hin, und nachdem er ihn von der einen Seite genugsam beschnuppert, drehte er ihn auf die andere, um auch diese kennen zu lernen, bei welcher Gelegenheit er uns seine Gestalt in der ganzen Breite zeigte. Der Indianer stieß mich jetzt ganz leise an und winkte, daß ich den Bären durch den Kopf schießen möge, während er selbst das Herz desselben zu seinem Ziele machen wolle, und fast zu gleicher Zeit gaben wir Feuer. Der Bär stürzte zusammen, doch schnaubend und winselnd richtete er sich ebenso schnell wieder auf seine Hinterbeine auf. Auch ich hatte mich nach dem Schuß aufgerichtet; als der Indianer aber den verwundeten Bären kampfbereit sah, riß er mich wieder zu Boden, jedoch zu spät, denn das wüthende Thür, welches keine Witterung erhalten konnte, hatte uns längst erblickt, und von mehr Muth belebt, als der heute erlegte, stürzte er schnaubend mit geöffnetem Rachen vorwärts. Doch wiederum rollte er zu Boden, und wie ich bemerken konnte, in Folge eines gebrochenen Vorderarmes. Ohne mich daher weiter nach ihm umzusehen, folgte ich dem fliehenden Indianer nach, der mir den Weg in einen nahen Eichbaum zeigte. Wie ich in den Baum hineinkam, weiß ich heute noch nicht, jedenfalls aber muß ich zu jener Zeit eine ungewöhnliche Gewandtheit im Klettern bewiesen haben, denn es war noch keine Minute vergangen, als ich rittlings auf einem Aste saß und mich zum Laden meiner Büchse anschickte.
           Ich muß gestehen, daß ich nicht glaubte, daß der Bär uns nachfolgen würde, es erschien mir so unähnlich allem dem , was ich bisher kennen gelernt hatte, aber kaum hatte ich das Zündhütchen aufgedrückt, als er, auf drei Beinen gehend, am Rande des Hügels, also nicht funfzig Schritte von uns, auftauchte. Der unwirsche Geselle war nicht ganz so groß, wie unser heutiger, doch, obgleich ich mich auf dem Baume sicher wußte, indem die grauen Bären nicht klettern, so glaubte ich doch nie ein größeres und fürchterlicheres Thier gesehen zu haben, als diese wüthende Bestie, die blutend und schäumend in so geringer Entfernung aufrecht vor mir stand. Der Indianer begann jetzt laut zu sprechen, und als der Bär sich auf dieses Geräusch, was für ihn aus der Luft zu kommen schien, uns zuwendete und die Brust zeigte, schossen wir zu gleicher Zeit auf ihn. Mit lautem Stöhnen stürzte er tödtlich getroffen zusammen, er wälzte sich noch einigemal herum, riß mit den langen Krallen Wurzeln und Rasen aus der Erde, und lag endlich regungslos da.            Wir blieben noch ein Weilchen auf dem Baume sitzen, um gewiß zu sein, daß er nicht einer bloßen Ohnmacht anheimgefallen sei, und näherten uns dann erst unserer Beute. Es war, wie ich schon vorhin andeutete, ein schönes Exemplar, welches gut seine 800 Pfund wog. Die beiden letzten Kugeln waren dicht neben einander in die Brust gedrungen und hatten, augenblicklich tödtend, das Rückgrat gebrochen; meine erste Kugel dagegen war über dem rechten Auge von dem flachen Schädel abgeprallt, während des Indianers Schuß das Gelenk des rechten Vorderarmes getroffen und die Bestie gelähmt hatte. Nachdem der Gelbe Marder unter wildem Jubelgeheul einige Male auf dem todten Körper herumgesprungen war, begaben wir uns sogleich an die Arbeit, das heißt, ich zündete ein Feuer an, der Indianer löste geschickt einige Pfund des zuckenden Fleisches aus den Schinken, und so bereiteten wir uns ein Mahl, dem zwar das Salz mangelte, um das uns aber, nach meiner damaligen Ansicht, ein Lukullus beneidet haben würde. Auf die Mahlzeit folgte etwas Ruhe, worauf wir von dem Hirsch sowohl, als von dem Bären die Haut entfernten, beide zerlegten und stückweise in dem Baume aufhingen. Die Häute, so wie etwa zwanzig Pfund Fleisch befestigten wir an einer langen Stange, welche wir uns vom Ufer des Flusses geholt hatten, und dann die Enden derselben auf unsere Schultern nehmend, schritten wir, zufrieden mit dem Erfolg unserer Jagd, dem bekannten Blockhause zu. Das übrige Fleisch wurde von den Weibern herbeigeschafft, und nicht wenig Ruhm erntete der Gelbe Marder, als er die weißgeschabten Krallen des Bären mittelst Streifen von Otterfell zu einem wohlkleidenden Halsschmuck zusammengefügt hatte und zur Schau trug.



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